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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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er hätte sie alle ausgelöscht.
    Aber die Tanne sagte: »Du kannst den Kurs bestimmen. Du kannst den Kurs bestimmen.«
    Da befahl Blank dem Wurmfarn, wieder Dr. Fluri zu sein.
    Das Peitschenmoos verwandelte sich zurück in Halter + Hafner, die Tanne in Alfred Wenger, der Rippenfarn in Evelyne, die Heidelbeeren in Lucilles Haar, der Fichtenstrunk in Joe Gasser, das Brombeergestrüpp in die Doktoren Geiger, von Berg und Minder. Und die dürre Fichte in Pius Ott.
    Freunde, Feinde, Geliebte, Verflossene, Schlüsselfiguren und Komparsen seines Lebens versammelten sich um ihn auf dem Grund des Waldes. Wogten sich mit ihm, dem Farn, dem Moos, den Zweigen in der sanften Strömung des Universums. Und wurden mit ihm Teil davon.
    Pius Ott zog lange Thermounterwäsche an, einen Rollkragenpullover, eine Faserpelzjacke, eine wattierte, wasserdichte und windabweisende Trägerhose, mehrere Paar dünne Socken, Kälteschutzstiefel. Eine Sturmhaube, Handschuhe, Innen- und Überfäustlinge und einen gefütterten windundurchlässigen Parka aus atmungsaktivem Gewebe, Überlebensfolie, Müesliriegel, Dörrobst, Trockenfleisch, Sauerteigbrot, Feldflasche, Fernglas, Taschenlampe, Klappspaten, Nachtsichtgerät und Munition packte er in den Rucksack.
    Er öffnete den Waffenschrank und entschied sich für einen handlichen Repetierstutzen mit Zielfernrohr und Leuchtabsehen. In sein Gürtelholster steckte er eine 9 mm Luger.
    Die Sonne färbte die Wolkenfetzen über dem See hellrot, als er seinen Jägerhut aufsetzte und in den Pickup stieg. Es sah nach Schnee aus.
    Urs Blank erwachte von der Stille. Kein Vogel, kein Wind, kein Rascheln, kein Flugzeug in der Ferne. Kein Wasserfall.
    Er war wie in Watte gepackt.
    Er schlug die Augen auf. Weißes Licht drang durch die rohen Planken in die Schwitzhütte. Er lag warm in seinem Schlafsack. Zwischen Überlebensfolie und Türrahmen sah er einen Streifen Weiß.
    Er kroch aus dem Schlafsack und schlug die Folie beiseite. Die Lichtung lag unter einer Schneedecke. Die Tannen am Waldrand trugen schwer an ihrer Last aus nassem Schnee.
    Blank zog die Schuhe an, nahm seinen Waschbeutel und stapfte durch den Schnee zum Wasserfall. Er war zu einem dünnen Rinnsal geworden, das lautlos dem Fels entlang in das Bassin floß. Als ob ihn jemand abgedreht hätte.
    Blank wusch sich und ging zurück zur Hütte. Er aß etwas Speck und trank Wasser. Er packte seinen Rucksack und machte sich bereit.
    Ein Habicht segelte lautlos über die Lichtung. Blank spürte, wie die Ruhe, die ihn umgab, sich langsam auch in seinem Inneren ausbreitete.
    Er zog den Rucksack an und begann bedächtig die ersten Spuren in den neuen Schnee zu setzen.
    Er war schon beinahe beim Waldrand, als er hinter sich ein Geräusch hörte. Er blickte zurück und sah, wie eine Ladung Dreck, Holz, Schutt und Schnee, gefolgt von einem Schwall Wasser, die Felswand herunter ins Bassin stürzte. Der Wasserfall war zurückgekehrt.
    Welti hatte auf sich warten lassen. Er sah übermüdet aus. Er hatte Nachtdienst gehabt und war kurz vor Dienstschluß noch zu einem häßlichen Autobahnunfall geschickt worden. Als er endlich wegkam, hatte er noch den Hund holen müssen.
    Die Nachricht, daß die Fingerabdrücke im Vorratsraum der Familie Felder vermutlich mit denen von Blank identisch waren, hatte ihm Blaser noch am Abend auf den Posten durchgegeben. Bei seiner Ankunft in Dellikon war die Bestätigung bereits eingetroffen.
    Blaser ließ Welti nur gerade Zeit für eine Tasse Kaffee im Stehen. Vor einer halben Stunde hatte Felder angerufen. Kunz, der Bauer, der Blank bei der Abzweigung begegnet war, hatte im Schnee Fußspuren gesehen, die aus der Gegend vom Fichtenhof kamen. Er fand das seltsam und rief Felder an. Der hatte Kunz mit dem Jeep abgeholt, und die beiden waren zum Fichtenhof und, so weit es ging, bis zum Wasserfall hinaufgefahren. Von Joe Gassers Schwitzhütte aus hatten Fußspuren weggeführt. Die Hütte sah aus, als hätte jemand darin übernachtet.
    Die Stille des verschneiten Waldes wurde nur vom dumpfen Aufschlagen des Schnees gestört, der von den Fichtenästen fiel. Blank war froh, daß es taute. In ein paar Stunden würden seine Fußspuren verschwunden sein.
    Auf dem ganzen Weg begegnete er keinem Menschen. Nur einmal, als er ein Feld überqueren mußte, näherte sich ein Traktor. Vom Waldrand aus beobachtete Blank den Traktorfahrer mit dem Fernglas. Er hatte angehalten, aber er blickte nicht in seine Richtung. Er stieg ab, begab sich an das

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