GK453 - Wolfsmond
Wir konnten nicht tatenlos zusehen, deshalb legten wir uns auf die lauer, als wir zum erstenmal von den grauenvollen Taten der Bestie hörten. Viele Mutmaßungen wurden angestellt. Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen bauschten die schrecklichen Morde zu allem Überfluß noch auf, und schon nach kurzer Zeit gab es niemanden mehr, der sich unbekümmert nach Einbruch der Dunkelheit auf die Straße wagte.
Diejenigen, die aus beruflichen oder anderen triftigen Gründen doch aus dem Haus mußten, hetzten zur U-Bahn, zum Bus oder nahmen ein Taxi. Zu Fuß gingen sie nur so weit, wie es unbedingt sein mußte. Manche von ihnen verschafften sich - legal oder illegal, das kam auf den gesellschaftlichen Rang an - eine Pistole, aber Mr. Silver, mein Freund und Kampfgefährte, und ich, Tony Ballard, der Dämonenhasser, wußten, daß man der Bestie mit gewöhnlichen Kugeln nicht beikommen konnte.
Denn das Scheusal, das in unserer Stadt sein Unwesen trieb, war ein Werwolf!
Mr. Silver, der Ex-Dämon mit den außergewöhnlichen Fähigkeiten, kräuselte seine Nase. »Die dritte Nacht steht uns bevor. Stundenlanges Warten. Quälende Gedanken. Enttäuschung, wenn endlich das Morgengrauen kommt, und das Wissen, daß wir es wieder einmal nicht geschafft haben. Ich hasse es, mir wie ein Versager vorzukommen.«
»Mir geht es genauso«, sagte ich, wickelte ein Lakritzbonbon aus dem Papier und schob es mir zwischen die Zähne. »Jedem würde es so gehen. Niemand ist gern erfolglos, Silver.«
Der Hüne mit den Silberhaaren seufzte. »Ein schwacher Trost.«
»Der einzige, den ich dir geben kann«, erwiderte ich und zuckte mit den Schultern.
Der Stadtteil, in dem wir uns herumtrieben, hieß Clerkenwell. Nebeneinander schritten wir eine düstere, einsame Straße entlang. Dunkelgraue, trostlose Hausfassaden. Geschlossene Fenster. Ab und zu das Jammern einer Katze. Das war die Welt, in der wir uns bewegten. Am Tag schliefen wir. Vor allem ich, denn nach einer durchwachten Nacht brauchte ich diese Erholung, auf die Mr. Silver, da er kein Mensch war, auch verzichten konnte. Er kam, wenn es sein mußte, wochenlang ohne Schlaf aus.
Während ich ruhte, kümmerte er sich um die beiden Mädchen in unserem Haus: Vicky Bonney, meine Freundin; Roxane, die Hexe aus dem Jenseits, seine Freundin.
Abends zogen wir dann wieder los, um neuerlich zu versuchen, die Bestie zu stellen, aber das Monster schlug stets wie ein Blitz aus heiterem Himmel zu und verschwand nach dem Mord sofort wieder. Niemand konnte Vorhersagen, wo es als nächstes zuschlagen würde. Es hatte sich lediglich herauskristallisiert, daß das Ungeheuer den Stadtteil Clerkenwell bevorzugte. Hier absolvierte es seine schaurigen Streifzüge, war auf der Suche nach einem neuen Opfer.
Wir hatten eines der Opfer gesehen. Eine junge Philosophiestudentin, die von einem Klassentreffen nach Hause gegangen war. Das Ungeheuer hatte ihr in einem Hauseingang aufgelauert, und es ist unbeschreiblich, wie das Horrorwesen gewütet hatte. Das Mädchen war nicht wiederzuerkennen gewesen. Lediglich an ihrer Kleidung konnte die Studentin noch identifiziert werden.
Es gab einen kleinen Park in Clerkenwell, in dem sich die Bestie einige Male gezeigt haben sollte. Dorthin waren Mr. Silver und ich unterwegs. Zu Fuß. Mein weißer Peugeot 504 TI parkte in der Farringdon Road. Ich hatte den Wagen erst heute vom Mechaniker abgeholt, denn es mußten einige Dellen und Beulen ausgebessert werden.
Das Geisterbild eines gefährlichen gelben Drachen hatte sich während einer Fahrt auf die Windschutzscheibe gelegt und mir die Sicht genommen. Dadurch hatte ich einen Unfall gebaut, der meinem Partner, dem reichen Industriellen Tucker Peckinpah, einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt einbrachte. Peckinpah befand sich immer noch in der Klinik, aber seine Entlassung stand kurz bevor, wie wir erfahren hatten.
Obwohl der Peugeot wieder wie neu war, benützte ich ihn nicht, denn zu Fuß hatten wir mehr Kontakt zu unserer Umwelt. Wir hofften, auf diese Weise früher die Spur der Bestie finden zu können.
Als der Park in Sicht kam, blieb Mr. Silver stehen.
»Irgendein Problem?« fragte ich ihn.
»Erinnert dich dieser Park nicht an dein Abenteuer in Hannover?« fragte der Ex-Dämon. Er spielte damit auf die Geschichte mit dem Geisterhenker an. Mr. Silver war zwar nicht dabei gewesen, als ich mich mit diesem Höllenboten herumschlug, aber ich hatte ihm davon berichtet.
»Irgendwie schon«, gab ich zurück. »Aber abends sieht
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