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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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ging es aber nicht. Die Treppe führte ein Eigenleben. Sie stieg noch ein paar Stufen weiter, bis sie in ein ausgedehntes Stockwerk sehen konnte. Es war leer. Kurzentschlossen zog sie die Schuhe aus in der Hoffnung, sie noch einmal wiederzusehen. Die Dinger hatten ein Heidengeld gekostet.
    Jetzt gab die Treppe erheblich weniger Geräusche von sich, aber dafür schnitt ihr der metallene Rost ins Fleisch. Sie versuchte, den Schmerz zu ignorieren. Wieder hörte sie die Geräusche, und diesmal klangen sie erheblich näher. Schluchzen, Wimmern, unterdrücktes Stöhnen.
    Angespannt und krumm wie eine Katze nahm Vera die letzten Stufen, bevor die Schachtwände der Weiträumigkeit des nächsten Stockwerks wichen. Sie drehte sich einmal um ihre Achse, die Waffe ausgestreckt, und erstarrte.
    Das Bild, das sich ihr bot, war von absurder Eindringlichkeit.
    Ein Körper, der zu schweben schien. Davor jemand, der sich wie in Zeitlupe darauf zubewegte.
    Vera vermochte nicht zu sagen, woher das erbarmungswürdige Schluchzen kam, ob von der hängenden Gestalt oder der anderen.
    Einige Sekunden verfolgte sie das Schauspiel wie gebannt, dann trat sie aus dem Gitterschacht und ging auf die Gruppe zu.
    Es war Nicole, die von der Decke schwebte, an Ketten aufgehängt wie eine Rinderhälfte.
    Davor ein Mann. Barfuß.
    Und überall Glas.
    Sie sah seine schwarzen Haare. Ohne ihn wirklich zu erkennen, wußte Vera, daß es Marmann war. Der Mann, den sie gesucht und schließlich gefunden hatte. In einer Situation, an der sie die Schuld trug.
    Lubold schien fort zu sein.
    Aber warum dann diese schreckliche Farce?
    »Marmann!« rief sie.
    Er verharrte. Dann drehte er sich langsam zu ihr um.

    »Bleiben Sie stehen«, sagte Vera eindringlich. »Ich werde Nicole losmachen.«
    Er schüttelte heftig den Kopf. Der Ausdruck seiner Augen war glasig, sein Mund zuckte vor Schmerzen. Er wankte weiter. Vera sah auf seine Füße.
    Sie waren dunkel von Blut.
    »Er ...« preßte Marmann hervor. »Er ist...«
    »Ich hole Nicole da runter. Bleiben Sie um Gottes willen endlich stehen.«
    »Du wirst niemanden irgendwo runterholen«, sagte eine Stimme hinter ihr. »Laß deine Waffe fallen.«
    Bathge.
    Lubold.
    Fieberhaft ging sie alle Möglichkeiten durch. Zur Seite abtauchen, herumwirbeln, sich zu Boden fallen lassen, schießen, kinoreife Stunts. Aber sie wußte, daß es zwecklos war.
    Ihre Finger spreizten sich. Die Glock entglitt ihrer Hand und fiel auf den Beton.
    »Kick sie zu mir rüber. Nicht umdrehen.«
    Vera zog die Waffe mit einem Fuß heran und trat mit der Ferse dagegen. Sie hörte, wie das Metall über den Stein schlitterte, das Rascheln von Lubolds Kleidung, als er sich bückte und die Glock aufhob. Dann ein Krachen von Metall auf Metall und mehrmaliges Aufschlagen, das sich nach unten hin entfernte.
    Er hatte die Glock in den Schacht geworfen.
    »Dreh dich um«, sagte er.
    Vera gehorchte.
    Sie sah den Mann, der sie geliebt hatte. Sie sah den Mörder, dessen Waffe auf ihr Herz zeigte – und endlich verschmolzen sie zu ein und derselben Person. Was ihr Vorstellungsvermögen nicht vermocht hatte, besorgte die Realität. Der dort stand, in der Rechten die Pistole, in der anderen Hand einen Koffer, dessen Inhalt sie erahnte, erschien ihr nur noch monströs.

    »Wie soll ich dich nennen?« fragte sie kalt. »Simon? Oder lieber Jens?«
    »Simon ist tot«, sagte Lubold.
    »Wer hat ihn getötet? Du?«
    »Ich hatte Gelegenheit, ihn aufzuspüren. Manche Dinge muß man nun mal von langer Hand vorbereiten. Irgendeine Identität brauchte ich, und seine paßte ausgezeichnet.«
    »Wer war dann in meiner Wohnung?« fragte sie. »Lubold oder Bathge?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Du hättest zu Hause bleiben sollen, Vera.«
    »Antworte!«
    »Warum mußtest du mir nachschnüffeln?«
    »Warum mußtest du mit mir ins Bett?«
    Lubold schwieg.
    »Na, sag schon!« herrschte sie ihn an. »Der Fick zum Thrill? War es das? Hast duʹs genossen, wie weit du deine Spielchen mit mir treiben konntest? Hast du dich innerlich totgelacht? Komm, raus damit! Ich kann einiges vertragen. Ich hab schon anderen Idioten zugehört als dir.«
    Er lächelte.
    »Ich habe es genossen. Ja.«
    »Du hast die ganze Woche genossen, wie mir scheint. Üsker, Solwegyn, Nicole und Marmann, und zwischendurch ein bißchen Ve ra. Ich gratuliere dir zu einer so genußreichen Woche. Bist du wenigstens fertig, oder verlangt es dich danach, noch ein paar Unschuldige durch den Wolf zu

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