Maskerade der Liebe
1. KAPITEL
Derbyshire, England März 1819
Kinder sollten - das gestehe ich zu - unschuldig sein, doch wenn dieser Begriff für Männer oder Frauen verwendet wird, ist es bloß ein höflicher Ausdruck für Schwäche.
Mary Wollstonecraft,
Eine Verteidigung der Frauenrechte
Ich könnte genauso gut in einem Zirkus Versteck spielen, ging es Emily Fairchild durch den Kopf, als sie sich im Ballsaal des Landguts des Marquess of Dryden umsah. Es waren mindestens vierhundert maskierte Gäste anwesend, die alle ausgefallene, kostspielige Kostüme trugen, wie sie sich Emily niemals hätte leisten können.
Sie hatte ihre gute Freundin Lady Sophie noch nicht unter den Anwesenden ausmachen können. Wo um Himmels willen war sie nur? Emily konnte den Ball auf keinen Fall verlassen, ohne sie vorher getroffen zu haben. Sophie wäre sehr enttäuscht, wenn sie das Elixier, das Emily eigens für sie hergestellt hatte, nicht erhielte.
„Siehst du sie irgendwo, Lawrence?“ erkundigte sich Emily mit lauter Stimme bei ihrem Vetter, um das Orchester zu übertönen. „Du bist groß genug, um sie zu entdecken, falls sie da ist.“
Lawrence ließ den Blick durch den Salon schweifen. „Ah, dort drüben ist sie und widmet sich einer sinnlosen Beschäftigung, die man in der Gesellschaft für unterhaltsam hält.“
Mit anderen Worten - sie tanzte. Emily unterdrückte ein Lächeln. Armer Lawrence! Er war aus London angereist, um ihren Vater und sie nach mehreren Jahren wieder einmal in Willow Crossing zu besuchen, und sah sich nun dazu gezwungen, sie statt ihres Vaters zu einem Maskenball zu begleiten - ein Ereignis, das für Lawrence nur Zeitverschwendung bedeutete.
Wenigstens war er nicht dazu verurteilt, mit ihr tanzen zu müssen. Der Anstand verbot es ihr, dies zu tun, da sie sich in den letzten Wochen der Trauerzeit befand. Sie war die Einzige, die Schwarz trug und bloß eine Seidenmaske über den Augen hatte.
„Mit wem tanzt sie denn?“ fragte Emily.
„Ich glaube, mit Lord Blackmore.“
„Lord Blackmore? Der Earl of Blackmore war der Bruder der neuen Schwiegertochter der Drydens und ein Mann mit einem gewissen Einfluss.
Ein Anflug von Neid überkam Emily, den sie aber sogleich unterdrückte. Wie töricht von ihr, Sophie um etwas zu beneiden, was ihr von Geburt an zustand! Schließlich würde Emily niemals die Möglichkeit haben, selbst mit dem Earl zu tanzen. Als Tochter eines Geistlichen verfügte sie nicht über die entsprechenden Verbindungen.
Sie konnte sich schon glücklich schätzen, hier sein zu dürfen. Lady Dryden hatte sie nur deshalb eingeladen, weil sie sich Emily für einen Gefallen dankbar erweisen wollte. Die Marchioness hatte keinen Grund, sie einem ihrer illustren, reichen Gäste vorzustellen, die für diesen Ball sogar aus London angereist waren.
Dennoch malte sie sich aus, wie es wohl wäre, mit einem so berühmten Earl wie Lord Blackmore zu tanzen. Wahrscheinlich würde es eine nervenaufreibende Angelegenheit werden, vor allem, wenn er gut aussah. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und blinzelte durch die Augenschlitze ihrer Maske. Leider vermochte sie infolge des Meers aus Perücken und seltsamen Kopfbedeckungen, das vor ihr hin und her wogte, nicht das zu erkennen, was sie allzu gern gesehen hätte.
„Tanzen sie einen Walzer, Lawrence? Amüsiert sich Lord Blackmore?“ fragte sie ein wenig atemlos.
„Wie sollte er das? Zum einen bewegt er sich zu den Klängen der Musik, und zum anderen hat er Sophie als Partnerin. Er verdient Besseres. “
„Was meinst du damit?“
„Lord Blackmore ist eine bedeutende Persönlichkeit. Obgleich er das jüngste Mitglied des Oberhauses ist, hat er bereits mehr für die Armen erreicht als irgendein anderer.“ „Warum heißt das, dass Sophie nicht gut genug für ihn ist?“
Betont gelangweilt zuckte Lawrence die Schultern. „Es fällt mir schwer, dir das zu sagen, aber deine Freundin ist eine eingebildete, dumme Person, die zu einem klugen, erfahrenen Mann einfach nicht passt.“
„Das ist sie nicht! Was weißt du schon von ihr? Du hast sie erst gestern kennen gelernt.“
„Eben, und sie hat mich die ganze Zeit über nicht beachtet. Wahrscheinlich ist ein Londoner Advokat unter ihrer Würde.“
Der Versuch, seine Stimme gleichgültig klingen zu lassen, schlug dermaßen fehl, dass Emily ein Lachen unterdrücken musste. „Ach, Lawrence, du hast sie völlig missverstanden. Vielleicht hat sie dir etwas zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Aber gewiss nicht
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