Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
latschen?“
Jonas grinste, ein halbes Stück Sandkuchen bröselte aus seinem Maul haarscharf am Teller vorbei auf den Fußboden. „Der da“ – er wies auf mich – „könnt mit nem sauren Drops durchn Supermarkt latschen und wär für ihn immer nochn überdimensionierter Pimmel.“
Ein leichter mütterlicher Klaps gegen den Hinterkopf war die Ernte, die Jonas einfuhr, seine Fensterglasbrille rutschte ein wenig nach vorne, die beiden Hirnzellen karambolierten wie beim Billard, es machte einmal „klack“. „Du bist ein anständiger Junge“, log seine Mutter, „wo hast du nur die Schweinereien her. Besorg dir endlich eine Freundin und reagier dich ab wie jeder normale 15jährige.“
„Oder schleich dich nach Gorleben und schottere ein wenig“, riet ich, was mir einen Stinkefinger und die Entgegnung einbrachte, von einem Typen, der keinen hoch bekäme, müsse sich ein Jonas überhaupt nix sagen lassen. Die Gesprächspalette des Jungen war ohne Zweifel monothematisch, seine Phantasiewelt ein Friedhof aus wie Pilze aus dem Boden wachsenden Peniden und dazwischen rollenden Ein-Euro-Stücken. Sex und Geld, Sex und Geld, wie es in einem Song der Band Ideal heißt.
„Ich guck jetzt Sportschau“, tat Jonas kund, „Schalke putzt heute Kaiserslautern 5 zu 0 oder so, aber ich mach den Ton aus, damit ich höre, wenn ihrs miteinander treibt.“ Wir lachten und sagten, das könne er beruhigt tun, wir seien deutsche Meister im lautlosen Vögeln.
Als sich Jonas getrollt hatte, kam Hermine um den Tisch und setzte sich auf meinen Schoß. „Wenn ich innerhalb der nächsten zwei Minuten nicht mindestens zwanzig Zentimeter höher sitze, angel ich mir den nächstbesten Rentner mit einem Baguette“, kündigte sie an.
„Das kann ich dem armen Mann nicht antun“, sagte ich und dachte vorfreudig an die zwanzig Euromünzen in meinem Portemonnaie.
12
Mit solcher Leidenschaft hatte nicht einmal Vladmir Putin jüngst bei der Bundeskanzlerin um die Einrichtung einer Freihandelszone gebuhlt. Pech für ihn, dass seine Partnerin Angela Merkel hieß und nicht Hermine, die denn auch nicht „Karl-Theodor“ schrie, sondern ein langgezogenes „Mooooooooritz!!!“ durch die Stille ihres häuslichen Reichs und darüber hinaus schickte, was sofort Jonas auf den Plan rief, der vor der abgeschlossenen Schlafzimmertür nach seinen „zwanzig Piepen“ verlangte. Ich erklärte ihm den aktuellen Standort meines Portemonnaies und widmete mich fortan den weiteren Maßnahmen zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen zwischen Mann und Frau.
Es hatte zu schneien begonnen, als ich eine glücklich erschöpfte Hermine und einen um seine Barschaft zugunsten der deutschen Glücksspielindustrie erleichterten Jonas verließ. Perfektes Timing. Meine Schleusen waren geschlossen, die des nachtschwarzen Himmels geöffnet, weiß und nass klatschte es ohne Ton auf den Asphalt, ich summte eine mir unbekannte Melodie und schritt der Innenstadt zu.
Mir war philosophisch zumute, was nicht nur am ersten Weihnachtsschmuck lag, der die Stadt langsam zum winterlichen Disneyland machte. Gab es ein höheres Glück hienieden als die Vereinigung an sich? Nicht nur die von Mann und Frau – darüber ist man sich außerhalb der katholischen Kirche seit Jahrtausenden einig -, nein auch die von Kaninchenzüchtern, Briefmarkensammlern, Drogenhändlern und Veranstaltern von Kaffeefahrten, Menschen, die sich zur Beförderung eines hohen Zieles zusammenschließen und so in den Genuss von GEMEINSCHAFT kommen, Wärme austauschen, sich einfach pudelwohl fühlen? Okay, manchmal ging das schief, etwa bei der Vereinigung von Intelligenz und Dummheit, wobei ein seltsames Konstrukt namens „politische Partei“ herauskommt, oder Schwarz und Gelb, was in Pöstchengeschacher und hysterischen Koalitionskrächen endet. Dennoch: Wenn der Mensch alleine ist, das kann nicht gut sein, sprach der Eremit und kaufte sich eine Karte fürs Fußballspiel.
Ich kam, unter intensivem Abdenken diverser Themen (Soll ich mir einen Adventskranz anschaffen, endlich wieder mal mein Klo putzen oder den Lottojackpot knacken?) in vertrautere Gegenden und stand, sehr zufällig, vor dem Haus in der Lessingstraße, wo Georg Weber bis zu seinem Verschwinden gewohnt hatte und, wie zu hoffen stand, nach seinem Auftauchen wieder wohnen würde. Bis dahin hatte es sich seine Schwester dort gemütlich gemacht, ich sah aufs Klingelbrett – Weber wohnte im 2. Stock -, dann die Fassade hoch in ein hell
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