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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Hinweise zum Verbleib ihres Besitzers zu finden. Es war halb Neun und mithin zu spät für einen unangekündigten Besuch. Vielleicht saß Sonja Weber im Negligé vor der Glotze, vielleicht vor einem Tellerchen mit frugaler Mahlzeit, was sie genieren musste. Morgen war Sonntag, da überfiel man die Leute auch nicht in ihren Wohnungen, also am Montag. Mir stand eine arbeitsreiche Woche bevor.
     
     
    14
    Der Glühwein wurde mir in einer großen, mit Sternen und Tannenbäumen bedruckten Tasse serviert. „Wohl bekomms“, wünschte die Wirtin und machte kehrt, wieder von allem, was Blicke hatte, bis durch die Tür hinter dem Tresen begleitet. Unglaubliche 1,50 kostete die Tasse Glühwein, so dass die „Bauernschenke“ nicht nur in puncto Einrichtung den Muff der Fünfziger rekonstruierte. Die Frau im Kaninchenpelz prostete mir mit ihrem Eierlikör zu, ich prostete zurück. „Du greifst aber auch in jede Wiege, Irmi“, kommentierte der Dreimännertisch, wandte sich jedoch sofort wichtigeren Dingen des Daseins zu: bei SCHLECKER gab es jetzt Kukident auch in der Vorteilspackung mit Sammelbild „Die größten Stars der zwanziger Jahre“.
    Mir wurde warm. Beim zweiten Glühwein noch wärmer. Ob ich die Speisekarte wünsche? Wirtin Monika hatte die Dauer ihres Lächelns analog zur Zeche verdoppelt. „Die Monika steht aber nicht auf der Karte!“ lachte der Dicke, und wenn das so war, wollte ich auch die Karte nicht sehen. „Es spannen die Lauscher die Spanner die lauschen“, dichtete es von Greisenseite, auf eine „Cornelia“ gemünzt, die beim letzten Ball der einsamen Herzen ihre Ohren überall gehabt habe, „widerlich so was, und dann hat sie auch noch Mundgeruch“.
    Aus der Tür des Hauses, in dem Georg Weber wohnte, trat ein Mann, mittelalt und hager, eine Wollmütze auf dem Kopf. Er schlug den Kragen seiner Jacke auf, ging die paar Schritte zum Straßenrand und wartete, bis sich eine Lücke im Autoverkehr auftun würde.
    Bewegte sich nicht die Gardine da oben, wo Sonja Weber im Birnenlicht eines vermuteten Wohnzimmers den Abend bei was auch immer verbrachte? Die Gardine bewegte sich, ein Schatten tauchte dahinter auf, die Gardine wurde ein wenig beiseite gezogen, Sonja Webers Gesicht, kein Zweifel, sie blickte auf den wartenden Mann, der nun zügig die Straße überquerte, für zwei oder drei Sekunden verschwunden war und dann die Gaststube betrat. Sonja Webers Gesicht zog sich hinter die Gardine zurück, wurde zum Schatten, der Schatten war weg. Sehr merkwürdig.
    Der Mann machte nicht den Eindruck, als habe er die Wirtschaft soeben zum ersten Mal betreten. Er durchquerte zügig den Raum bis zur Theke, räusperte sich mehrmals und wurde durch einen Ausruf der Wirtin in der Küche als „Mensch, Lothar!“ identifiziert. Lothar sagte Halblautes und Unverständliches zurück, sah sich dann um – unsere Blicke trafen und ignorierten sich – und steuerte einem Tisch zur Straße zu. Er  setzte sich mit dem Rücken zu mir und sah zum Fenster der Weberschen Wohnung hoch. Das war noch merkwürdiger.
    Am merkwürdigsten jedoch, was dann geschah. Monika brachte eine Platte mit Wurstbroten sowie ein Malzbier zu Lothars Tisch, stellte es ab und setzte sich neben den Gast. Sie begannen zu flüstern, es konnte kein angenehmes Gespräch sein, denn beider Gesichter erhitzten sich und grimassierten, das Flüstern wurde lauter, wenn auch nicht verständlicher. Feuchte Vokale und gebrummte Konsonanten, auch das Trio hatte große Ohren bekommen, nur Eierlikör-Irmi umkreiste gedanklich ihr Getränk, bevor sie es abermals in sich und auf den Pelz kippte, mit einem „noch einen, Helga!“ die erregte Debatte zwischen Helga und Lothar unterbrach. „Kommt!“ brach es aus Helga heraus. Sie stand auf und Lothar machte sich kopfschüttelnd über die Wurstbrote und das Malzbier her. Ich bestellte meinen dritten Glühwein.
     
     
    15
    Fünf Glühwein hatte das Wetter gebraucht, um Winter auf die Stadt zu schneien. Der Schnee tat, wozu ihn Weihnachtslieder verpflichteten, er rieselte leise und irgendwo ruhte still und starr ein See, auf dessen Grund ich für einen Augenblick Georg Weber unauffindbar vermutete – aber nein. Du bist besoffen, Moritz, du siehst Gespenster, und ich sah sie ja tatsächlich: eine alte Dame im Kaninchenpelz, die im Sitzen über einem leeren Eierlikörglas eingeschlafen war, sowie drei lästernde Greise mit Gesichtern wie nordafrikanische Faltengebirge.
    Lothar rüstete zum Aufbruch. Vier Malzbier

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