Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
und „nur für Männer ohne Nerven“, ließ mich von der penetranten Werbung verführen und griff mechanisch nach dem ausgelegten Knabbergebäck – ein Einkaufswägelchen stand davor, sein Drücker schob es mit einem entschuldigenden „Oh“ beiseite, wandte sich dann um, einer Frau zu, die sich im Paradies der 10000 Gewürzgurkensorten nicht entscheiden konnte. Ich erkannte sie. Lydia Gebhardt.
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Was war nur mit dem deutschen Geldadel los? Hatte er in AKW-Aktien investiert oder auf die FDP als Germany’s next top party gewettet? Oder hatte schlicht der Butler oder die Kammerzofe einen Hexenschuss und die Herrschaften sahen sich genötigt, selbst für Verpflegungsnachschub zu sorgen?
Während Papa Gebhardt, ganz würdiger Silberfuchs in Maßjeans mit Bügelfalte und Lederjacke mit Pelzkragen, das Einkaufswägelchen bewegte, wählte seine Gemahlin Gewürzgurken 2. Wahl und legte sie neben aufgebackene Baguettes, die ihrerseits zwischen Billignudeln und Fertigfrikadellen der Ekelkategorie auf die Fahrt zur Kasse warteten. Mittendrin dümpelte ein Blumenkohlkopf vor sich hin und ließ die Blätter hängen.
Lydia Gebhardt schien mich nicht zu erkennen, wie auch, sie sah an mir vorbei ins Senfregal und entschied sich für „mittelscharf“. Ihr Mann hüstelte vornehm und sagte leise: „Wir haben doch noch Senf zu Hause, Schatz“, „aber nur süßen“, korrigierte Lydia. Sie zogen von dannen, ich drückte mich an den Kichererbsen vorbei und behielt den hohen Discounterbesuch im wachen Detektivauge.
Ich richtete es so ein, dass die Gebhardts unmittelbar vor mir ihre Einkäufe auf das Band legten. Der Herr Gemahl verrichtete den Job stoisch und routiniert, er hatte die Mittsechziger bereits in Richtung Siebziger verlassen, ein kleines Altersbäuchlein spannte Hemd und Jacke. Lydia mochte zehn bis zwölf Jahre jünger sein, im gnadenlosen Licht des Konsumtempels ließen sich die Folgen der zahlreichen Restaurierungsarbeiten nicht mehr verbergen. Herr Gebhardt zahlte wider Erwarten nicht mit Kreditkarte, er verabschiedete sich schweren Herzens von einem Fünfziger, nahm das Wechselgeld – 13 Euro 37 – mit knappem Kopfnicken entgegen und rollte den Wagen hinter der vorausstolzierenden Madame zum Parkplatz. Sie trug bequeme Halbschuhe, den Sexappeal hatte sie daheim gelassen. Der Kofferraum eines beigen Mercedes – es gab größere und kleinere – wurde geöffnet und Gebhardt verstaute Stück für Stück des Erworbenen, während seine ausgewuchtetere Hälfte auf dem Beifahrersitz Platz nahm, eine Zigarette rauchte, sich im Rückspiegel einer kritischen Prüfung unterzog und wartete. Szenen einer Ehe.
Langsam rollte der Wagen zur Straße. Ein anderer folgte ihm, was Zufall sein konnte. Unauffälliger Lada, ein Mann am Steuer, weder Jonny noch Bernie, es sei denn, die Burschen waren Meister der Verwandlung. Hm. Ich sah den beiden Autos nach, die sich Richtung Vororte entfernten, schleppte mich selbst mit gewaltigen Gewichten an beiden Armen zu Hermine zurück, die damit begonnen hatte, Kartoffeln zu schälen. „Stell alles auf den Tisch und schneid die Kartoffeln in kleine Würfel.“ Ein vages Gefühl sagte mir, es erginge mir gerade auch nicht besser als Herrn Gebhardt im Schlepptau seines dominanten Weibes. Ein noch vageres mischte sich ein und flüsterte: Hey, das ist der Normalfall. Glaub nicht an die Unterdrückung der Frau, alles Blödsinn, die haben das Heft in der Hand und jetzt schneid Kartoffeln, sonst wird es dir schlecht ergehen.
Es wurden gemütliche Stunden in einem trauten Heim, weit weg von den Schweinereien dieser Welt. Wir zelebrierten die Vorbereitungen auf den Abschied vom alten Jahr, es duftete bald nach Kartoffelsalat, der, wie mir Hermine verriet, „ziehen“ musste und irgendwann auch die beiden Junioren aus ihrem Zimmer lockte, wo sie „gezockt“ hatten. „Hier riechts nach Kartoffelsalat!“ „Nein“, konterte Hermine, „hier riechts nach Arbeit. Tragt mal den Müll runter, guckt, ob ihr irgendwo Servietten findet und die dann so falten, wie euch Mutti das mal gezeigt hat.“ Schneller sah man junge Menschen niemals unter dubiosen Vorwänden verschwinden und fluchtartig das Haus verlassen.
„Die wären wir los“, seufzte Hermine, „aber Punkt 8 stehen die auf der Matte und verlangen Atzung. Apropos Matte...“
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Im Kessel köchelte Glühwein, Alkohol verdunstete vor sich hin, es roch nach Zimt und Nelken und der exotischen Gewürzmischung von ALDI,
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