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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Schnurren aus ihrer wilden Zeit zwischen APO und Lotterbett zum Besten, „Trau keinem unter dreißig Minuten, er bescheißt dich ums Vorspiel!“ Aber mal im Ernst, erzählte sie weiter, „hier ganz in der Nähe gibt es die anarchistische Landkommune Antonio Gramsci, die experimentieren seit 1970 mit geldloser Wirtschaft. Ich hör mich da mal um.“ Sprachs, kippte und sackte weg.
    Da ich als erster das Licht des frischen 2011er Sonnenscheins erblickte, machte ich Frühstück. Deckte liebevoll den Tisch, nachdem ich ihn von den Überresten unserer Party gesäubert hatte, mobbte schnell aus, verstaute das schmutzige Geschirr in der Spülmaschine, wartete auf das Erwachen der Dam- und Jungschaft, überlegte mir derweil, wie ich heute nach Großmuschelbach kommen sollte, es war schon kurz nach zehn und zu erwarten, dass noch weniger Nahverkehr das verwunschene Dorf ansteuern würde als an normalen Wochentagen.
    „Supi“, brachte Oxana angesichts des gedeckten Tisches heraus. Oxana, die in unglaublicher Unterwäsche die Küche betrat. So müssen neue Jahre beginnen, freute sich meine Triebabteilung und wurde von den intellektuellen Überresten meiner zivilisatorischen Kontrollinstanzen nur halbherzig in ihre Schranken verwiesen. Wenn der Begriff „Reizwäsche“ jemals zutraf, dann jetzt, in diesem Moment. Oxana bemerkte meine Blicke und grinste nur.
    Sie nippte am Kaffee und verschwand im Bad, bald hörte ich das Jauchzen des – gewiss männlichen – Duschwassers, das den nackten Körper der Kasachin in Sturzbächen erkunden durfte. Ich kaute an Knäckebrot, etwas anderes hatte die Vorratskammer meiner Geliebten nicht hergegeben. Ich hasste Knäckebrot, ich hasste Duschwasser, ich liebte Oxanas zerknittertes Kleid, in dem sie nun wieder in der Küche auftauchte, sich an den Tisch setzte, sich dick Butter und Marmelade aufs Brot schmierte.
    „Du willst heut nach Großmuschelbach? Weißt schon, wie du da hinkommst?“ Ich schilderte ihr meine Befürchtungen. „Kein Problem“, wir können zusammen fahren. Ich muss nur noch schnell heim zu meinem Literaturgott – er wird noch pennen, aber sei’s drum – und mich umziehen, dann können wir los.“
    Hermine und Irmi erschienen gemeinsam, vollständig bekleidet, was ich im Falle der altgedienten 68erin freudig begrüßte. Beide neigten sich zu Oxana und küssten sie hingebungsvoll auf den Mund, was ich weniger freudig begrüßte. Ich kenne die fatalen Auswirkungen des Alkohols auf die sexuelle Ausrichtung des menschlichen Wesens, da werden Heten zu Lesben, Lesben zu Bisexuellen, Bisexuellen zu Asexuellen. Das hatte seinen Reiz, gewiss. Forderte jedoch auch meine spießbürgerliche Männlichkeit heraus. „War schön“, hauchte Hermine in Oxanas Ohr und ich tat so, als hörte ich es nicht.
     
     
    157
    Der Himmel hatte sich pflichtgemäß verdunkelt, als wir in das enge Tal einfuhren, an dessen Ende die Großmuschelbacher Tristesse auf uns wartete. Oxana lenkte den Wagen ruhig, sie trug züchtige Kleidung, einen beigen Hosenanzug, eine braune Jacke, das war schnell gegangen mit dem Umziehen, ich hatte derweil im Wagen gewartet und die Sauerei aus zerfetzten Feuerwerkskörpern, leeren Schaumweinflaschen und Erbrochenen auf der Straße inspiziert. „Marxer schläft noch, ich hab ihm einen Zettel hingelegt, dass ich eine Freundin besuche.“
    Vorbei an der Hühnerfarm, gut, dass die Fenster geschlossen waren und selbst die Klimaanlage sich die Nase zu hielt. Das Grau des Himmels wurde bedrohlicher, eine Schneeschwangerschaft stand kurz vor der Niederkunft, die Straßen waren nicht geräumt, Oxana drosselte die Geschwindigkeit. „Komische Atmosphäre hier“, erkannte sie, „wart erst mal ab, bis wir da sind“, warnte ich.
    Wie bei meinem ersten Besuch lag das Dorf wie ausgestorben vor uns. Nicht einmal Tiere waren zu hören, gar zu sehen, kein Hofhund kläffte, keine Katze schlich an Häuserwänden entlang, keine Maus biss einen Faden ab. Ich dirigierte Oxana zu dem altertümlichen Fotoladen, wir stiegen aus und fanden ihn verschlossen, was uns nicht überraschte. „Guck mal“, sagte meine Begleiterin und wies auf das Schaufenster. Ich guckte und staunte. Um das überdimensionierte, mit einem Trauerflor geschmückte Porträt des verblichenen Dr. Habicht gruppierten sich kleinere Bilder, die den Toten in verschiedenen Stadien seines Lebens zeigten. Dr. Habicht als Heranwachsender mit erstem Bartflaum, Dr. Habicht im schicken Bundeswehrdress, Dr. Habicht, der

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