Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
Vom Netzwerk:
das Haar als unentwirrbar ineinander verschlungene Wollknäuel auf dem Kopf, diesen wiederum auf einem Nichts von Hals, der aus einem „Ohmeingott!“ von Rumpf wuchs, den man nur als fleischgewordene Vision einer perfekten stählernen Tonne bezeichnen konnte. Dieser Rumpf mochte unter zwei verschlissenen Jacken nicht mehr genau zu definierenden Farbtons, vier baumwollenen Ober- und einem Halbdutzend löchriger Unterhemden verborgen sein, doch seine Muskeln pochten sichtbar, fast hörbar, wie mir schien, wenn ich den Atem anhielt und lauschte. Derweil sein Antlitz – und um ein solches handelte es sich unbezweifelbar – regungslos und stolz blieb, das Antlitz eines Helden der Gelegenheitsarbeit, an dem alle Irrungen und Wirrungen des postmodernen Kapitalismus spurlos vorbeigegangen zu sein schienen.
    Ich erinnerte mich: Das war Leopold Regitz, der König unter den Tagelöhnern, Pate der Verlierer des Arbeitsmarktes, von ellenlanger Spitznase beschatteter Lippenwulst beeindruckenden Ausmaßes, durch den von Zeit zu Zeit eine leuchtend rosa Zunge hervorlugte und wie ein Pendel von einem Mundwinkel zum anderen schwang, nein, patrouillierte.
    Wir mussten nicht lange auf das Erscheinen von Herrn Wilke, dem für uns zuständigen Sachbearbeiter warten. Er trat, ein Tablett balancierend, aus der zuvor unter Mühen geöffneten Tür seines Büros, beförderte das Tablett, auf dem eine große Tasse Cappuccino vor sich hin dampfte, flankiert von einem duftenden Croissant, einem Messer sowie einer Hotelportion Butter, zu Regitzen hin, der es ihm freundlicherweise abnahm.
    „Hier, Herr Regitz, das Croissant ist ganz frisch.“
    Regitz musterte den Cappuccinos und verzog ein wenig das Gesicht.
    „Ist das wirklich aufgeschäumte Milch oder doch Sahne?“
    Seine Stimme hatte ein überraschend ausgewogenes Volumen, er hätte auch die Nachrichten in der Tagesschau verlesen können.
    „Aber natürlich, Herr Regitz, ganz leckere Milch“, beeilte sich Wilke zu versichern und verlor keine Zeit, sich in das Schützende seines Büros zurückzuziehen.
    „Sonst hätte ich auch gleich draußen bei der ARGE-Schlampe mir ne Tasse Muckefuck einpfeifen können.“
    Wilke lachte verkniffen und kratzte sich am Kopf.
    „In Ordnung, ich wills mal glauben“, sagte Regitz, stellte das Tablett mit schwindelerregender Elegance auf seinem Schoß ab und begann schmatzend mit dem Frühstück. Diese Hingabe wurde nur gelegentlich durch einen zunächst ungeduldigen, sodann immer ärgerlicher werdenden Blick zum Eingang hin unterbrochen. Regitz wartete auf jemanden.
     
     
    22
    Regitz arbeitete am letzten Bissen seines bebutterten Croissants, als sich die Tür öffnete und ein kleiner, sehr scheckig gekleideter Mann eintrat. Etwas aus dem Leim gegangene 40 Jahre, schätzte ich, einen beigen Wollmantel über schwarzer Cordhose und rotkariertem Hemd, eine blauweiße Zipfelmütze mit dem Emblem von Schalke 04 auf dem Kopf. Er sah sich um, erblickte Regitz und wurde sofort um 20 Zentimeter kleiner, so dass man selbst im Sitzen das Kinn mächtig auf die Brust drücken musste, um ihn überhaupt zu sehen.
    „Da bist du ja, Borsig“, raunzte Regitz und: „Wo ist Schaffrath, die alte Sau?“
    Borsig lächelte schief und zerstörte die Reputation seines Zahnarztes. „Sorry, aber mir ist gestern Abend noch was dazwischen gekommen.“ – Er heischte ob dieser Anspielung auf erotische Abenteuer Respekt bei den Anwesenden, erntete aber nichts weiter als eine ungeduldige Handbewegung Regitzens.
    „Und Schaffrath haben sie gestern hops genommen. Schwere Körperverletzung.“
    Regitz stöhnte auf. „Ein Arschloch größer als das andere“, befand er, winkte Borsig zu sich, reichte ihm den Teller und sagte: „Bring das dem Wilke rein und stoß ihm Bescheid, er soll mal zu Potte kommen. Oder hab ich meine Zeit hier gestohlen?“
    Borsig tat wie geheißen und Wilke erschien stehenden Fußes mit einer Liste.
    „Fünf Mann für den Großmarkt, 4 Euro 80 die Stunde sowie angestoßene Äpfel, abgefallene Salatblätter kostenlos zum Mitnehmen, eventuell auch überreife Bananen zum halben Preis.“
    Sogleich schnellten fünf Hände in die Höhe, die von Regitz, Borsig und mir waren nicht dabei. Vierachtzig waren eine Stange Geld, die fünf Glücklichen zückten ihre Tagelöhnerausweise und schieden als prospektiv reiche Männer von dannen.
    „Zwei Personen für das Ausführen der Möpse von Gräfin Dohrscheid, 5 Euro die Stunde sowie eventuell abgelegte Kleider des

Weitere Kostenlose Bücher