Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
hoch für Jonas. Und einfach klingeln konnte man ja nicht. Total doof. Genau das tat Laura jetzt. Sie klingelte einfach. Jonas erschrak. Dass sie nichts wusste, war okay irgendwie. Sie war süß. Er liebte sie. Dass sie dazu aber noch dumm zu sein schien, schockierte ihn. Zu spät. Sie hatte geklingelt. Das Tor öffnete sich mit einem angenehmen Summton. Laura drehte sich zu Jonas und sagte: „Geil, ne?“
Das Mädchen schlenderte langsam und ungezwungen der Villa zu. Oh mein Gott, dachte Jonas, die Dummheit einer Frau wird mich ins Verderben stürzen! War es nicht sowieso das männliche Schicksal? Seine Mutter! Poppte hemmungslos mit einem langweiligen Versager, der dann, als er nicht mehr ganz so langweilig war, ein Versager blieb und sie alle in Lebensgefahr gebracht hatte. Seine Lehrerin! Die gar nicht einmal so unscharfe Frau Schößlein – schon der Name! So was gehörte verboten, wenn man es mit Schwerstpubertierenden zu tun hatte! – mit ihren abartigen mathematischen Axiomen, die Jonas' Hirnzellen irreparabel schädigten. Die Bundeskanzlerin! Was für eine lasche, tranige, unhippe Vollpfostin! Ob sie es tatsächlich mit diesem kleinen Franzosen trieb? Unvorstellbar, der hatte doch diese geile Tusse. Aber in der Politik war alles möglich. Laura! Sie war süß. Er liebte sie. Sie war so was von blöd. Er trabte von schwarzen Gedanken umwölkt hinter ihr her.
Jemand kam ihnen entgegen, ein Mann wie ein Stock. Das musste Johann sein, Katharina hatte von ihm erzählt, ein triftiger Grund, niemals so alt zu werden, sondern sich wie Amy Winehouse spätestens mit 27 von jedem Gedanken an die Riesterrente zu verabschieden. „Hi“, sagte Laura und der Typ antwortete: „Auch hi.“ Überraschend. War er vielleicht pädo? Waren ja die meisten alten Böcke. Aber er sah Laura gar nicht an wie ein Pädo. Ihn auch nicht. Er sah über sie hinweg – gut, sie waren beide noch im Wachstum und nicht besonders groß – und sah zu, wie sich das Tor langsam wieder schloss. Diesmal war das Geräusch nicht angenehm, es hörte sich irgendwie bedrohlich an. Dann sagte dieser Johann etwas und wieder senkte er nicht den Kopf, sprach mit der Luft über Jonas und Laura. „Na, ihr zwei Kurzen? Was wollts denn?“ Gute, logische Frage, dachte Jonas. Und sag jetzt nicht wieder „geil“ oder „cool“, Laura.
„Wir sammeln für die armen Negerkinder in Somalia, von der Schule aus“, sagte Laura und es war der längste Satz in ihrem bisherigen Leben. Er konnte sich nicht lange als Rekordhalter fühlen, denn das Mädchen fuhr fort: „Sie wissen ja selbst, dass am Horn von Afrika durch Dürre und Krieg eine schlimme Hungersnot ausgebrochen ist und die Welt leider nix tun kann, weil wer hat heutzutage noch Geld in der Kasse, also von den Staaten mein ich jetzt, die sind doch alle Pleite, jetzt sogar die Italiener, aber das wundert eh keinen.“ Johann hatte geduldig zugehört und nickte zustimmend. „Die Spaghettis haben wir Österreicher noch nie gemocht. Wegen Südtirol und Triest, weißt.“ Laura nickte. „Ja klar, eigentlich wäre der Reinhold Messner ja Österreicher, wenn’s auf der Welt eine Gerechtigkeit gäbe.“
Was erzählte die da für einen Scheiß? Woher wusste sie das alles? Sie war süß. Er liebte sie. Aber sie wusste zuviel. Diesem Johann schien es zu gefallen. Er beugte sich jetzt zu Laura und sagte: „Kluges Kind. Und schlimm das mit die Neger. Wartets mal eine Minute.“ Er drehte sich um, stieg die Treppe hoch und verschwand im Haus. „Jetzt“, sagte Laura. „Geh mal schnell ums Haus rum und guck, wo der Hintereingang ist. Aber beeil dich.“ „Cool“, sagte Jonas und setzte sich in Bewegung.
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Es regnete und Mauritz Kriesling-Schönefärb hatte keinen Schirm dabei. Die Natur machte sich über ihn lustig, der Gott der Metaphern und schiefen Bilder verarschte ihn. „Fahren Sie aufs Land, gehen Sie spazieren, kriegen Sie den Kopf frei für den genialen Einfall! Europa braucht Sie!“ Die Bundeskanzlerin hatte es Kriesling-Schönefärb beinahe mütterlich ins Ohr geflüstert und hinzugefügt: „Basteln Sie uns einen hübschen Rettungsschirm und vor allem die Gebrauchsanweisung fürs Wählervolk.“ Und jetzt regnete es wirklich. Mauritz Kriesling-Schönefärb irrte durch einen ihm unbekannten Wald und hatte keinen Schirm dabei.
Natürlich war er ein Genie. Einer, der in keinem Krisenstab fehlen durfte, ein Mann, dessen Spezialität es war, gordische Knoten mit der scharfen Klinge
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