Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
Vom Netzwerk:
das lesen würde – man würde es entrüstet, gelangweilt zuklappen und Richtung Mülleimer expedieren. Nur – Borsig sinnierte weiter – das konnte auch bedeuten, dass sich das Kriminelle längst im Alltäglichen verkrümelt hatte, dort Unterschlupf fand oder, Höhepunkt des Grübelns, dieses Alltägliche WAR, es gewissermaßen erst schuf und am Laufen hielt. Das Leben, summa, war kriminell, weil es kriminell sein musste, weil jede Gesellschaft in ihren Alltäglichkeiten schon auf organisierter Kriminalität fußt.
    Das wurde ihm alles zu hoch. Borsig nahm sich vor, mit Irmi über das Thema zu sprechen, einer welterfahrenen und intellektuell ausgebildeten Frau, die, pünktlich wie sie nun einmal war, gleich erscheinen würde. „Na klar mach ich da mit!“ Sie war begeistert gewesen. Gute Idee! Etwas krass, aber mein Gott, das Leben war nun einmal noch krasser. Ihren Patienten und Logiergast Konrad war Irmi sehr überraschend und abrupt losgeworden. „Ich dachte schon, der will gar nicht mehr abhauen. Wenn ich auch nur mal erwähnt hab, er wär doch eigentlich wieder gesund, kam prompt der 'Rückfall'. Und dann plötzlich hör ich ihn telefonieren und dann aufstehen, als wär er ein junges Reh, und er springt in seine Klamotten, reißt die Tür auf, pehst an mir vorbei, sagt gerademal noch Servus und ist über alle Berge. Nicht dass ich traurig drüber wäre. Aber bisschen komisch, oder?“
    Borsig machte sich fein. Seine beste Jeans, sein bester Pulli. Er putzte sich die Zähne, er putzte den Rest seines Körpers gleich mit. Nancy war einkaufen, ihre Kolleginnen, die ebenso mächtigen Ester Grosmanovsky und Karla Smirnowa, befanden sich im Anmarsch. „Hallo?“ Aha, das war Irmi.
    Wir wissen nicht, ob der Schöpfer dieses Machwerks in seiner unendlichen Schludrigkeit Irmi bereits in das Atelier der Großkünstlerin Nancy Halgrimsdottir eingeführt hat. Jedenfalls tat sie jetzt so, als betrete sie die Räumlichkeiten zum ersten Mal. Und staunte. „Klar, Kunst ist was Gutes. Solln das da sein?“ Borsig räusperte sich und schaute auf den Schrotthaufen, der wie ein nackter Baum aussah, mit Schweißbändern geschmückt. „Falsche Frage“, dozierte er. „In der modernen Kunst geht es nicht um das Sinnhafte des Konkreten, es geht vielmehr um das Konkrete des Sinnhaften.“ „Tja“, sagte Irmi, „so wollte ich das auch immer schon ausdrücken. Ich sag auch nicht, dass mir das nicht gefällt. Im Gegenteil. Doch, hat was. Nur: was?“
    Verlorene Generation, dachte Borsig mitleidig. Konnte man ja verstehen. Menschen wie Irmi hatten früher mit ihrer sexuellen Befreiung und dem Vietnamkrieg alle Hände voll zu tun gehabt, dazu mussten sie auch noch Herbert Marcuse lesen, ihnen war also nichts erspart geblieben. Da konnte Kunst, wenn überhaupt, nur am Katzentisch Platz nehmen und bestand aus einem Che-Poster und einem Zappa-auf-dem-Klo-Poster. Und dem Peace-Zeichen, allenfalls. „Hallo?“ Das waren Ester und Karla. Prima. Jetzt noch Nancy und Karl-Heinz und die Sache konnte losgehen.
     
     
    426
    Nun denn. Als ich meine Sekretärin, die mir in den Schoß gefallen war, wenn auch nur im übertragenen Sinne, verließ, hellte meine Stimmung allmählich auf. Hatte ich irgendetwas unterschrieben, irgendetwas versprochen? Jemand hatte mich in ein offizielles Amt gehoben, es existierte ein Türschild – aber wie das so ist mit existierenden Türschildern, das wusste ich ja. Schall und Rauch und jede Menge Ärger. Als ich um die Ecke bog und der Fassade jenes Hauses ansichtig wurde, in dem sich mein trautes Heim befand, blieb ich sofort stehen und drehte mich instinktiv um die Hälfte meiner eigenen Achse. Ein Kamerawagen des Fernsehens, zwei Typen, die vor dem Haus standen, hoch blickten. Nein, das würde ich mir jetzt nicht antun. Also Flucht.
    Richtung Hermine. Die öffnete mir ohne ein Wort zu sagen. Gab den Weg nicht frei, ich musste mich an ihr vorbeischieben, was sie immerhin zuließ. In die Küche. Hinsetzen, schauen, ob Kaffee da war. Natürlich nicht. Eine Zigarette anzünden. Aschenbecher? Auch keiner. Hermine tat so, als spüle sie Geschirr. Es lag keins in der Ablage. „Du bist irritiert“, begann ich das Gespräch, „kann ich verstehen. Ich bins ja selber.“ Hermine drehte sich um und sah mich lange an, viel zu lange. Sie wollte etwas sagen, ich schnitt ihr das Wort ab. „Sag jetzt nichts. Hör einfach zu. Okay?“ Sie nickte. Ich sprach weiter. Ich erklärte ihr alles, sogar das mit meinem neuen

Weitere Kostenlose Bücher