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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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brauchte zwanzig Minuten. Sie stank jetzt noch mehr. Sie stank nach Sex. Irgendwann musste er selbst, der Prinz, aufs Klo. Er musste nicht, weil er musste, sondern weil das so auf dem Zettel gestanden hatte: „Gehen Sie Punkt 11 Uhr aufs Klo. Stellen Sie sich vor das zweite Becken an der Pissrinne. Pinkeln Sie langsam.“ Er tat wie geheißen, es blieb ihm nichts anderes übrig. Zweites Becken, langsam pinkeln. Weiß eigentlich jemand, wie schwer es ist, langsam zu pinkeln? Eine Kunst. In seinem Körper rotierte genug Flüssigkeit, Flüssigkeit mit hohem Alkoholgehalt. Er wankte. Er schwebte. Er tanzte innerlich. Dann ging die Klotür auf, ein Mann trat ein, stellte sich neben Karl-Heinz, öffnete den Hosenschlitz und begann zu pinkeln. Unendlich langsam.
    Sie verschlossen ihre Hosenschlitze zur gleichen Zeit. Sie gingen in den Vorraum, zum Waschbecken. Karl-Heinz ließ dem anderen den Vortritt. Der wusch sich die Hände mit Wasser und Seife, trocknete sie ab, drehte sich um. Griff in seine Jackentasche, nahm etwas heraus – ein Stück Papier – und hielt es Karl-Heinz entgegen. Karl-Heinz wich dem Blick des Mannes aus, er wollte ihn gar nicht angucken, er wollte es einfach nicht wissen, zu viel wissen, das konnte schädlich werden. Er nahm das Papier, nickte angedeutet und steckte das Papier in die Hosentasche. Dann wusch er sich die Hände mit Wasser und Seife. Trocknete sie ab. Der Mann hatte das Klo längst verlassen.
    Karl-Heinz stellte den Motor ab und hörte auf, die Melodie zu pfeifen. Er blieb ein paar Augenblicke sitzen, atmete schwer aus und lauschte der Stille. Sammelte sich, fing sich. Gleich. Gleich! Endlich einmal kein Schrott! Sondern das blühende, nackte Leben! Jetzt nicht daran denken, dass auch daraus einmal Schrott wurde. Alte, keifende Frauen nämlich, er besaß ein solches Exemplar zu Hause, auch sie war einmal ein junges, knospendes Mädchen gewesen, so jedenfalls behauptete sie immer. Konnte sein. War aber schon elend lange her. Jetzt war sie – Schrott.
    Karl-Heinz stieg aus. Der Zettel. Er hatte ihn noch immer in der Hosentasche, er würde ihn heute Abend auf dieser hirnrissigen Prunksitzung der „Freunde des gesprochenen Wortes“ loswerden. Ihn graute vor dem Gedanken an drei Stunden Karnevalslieder. Er verdrängte ihn sofort. Federn. Er musste federn. Schweben, fliegen, gleiten. Das Leben war so leicht, wenn es nichts mit Schrott zu tun hatte.
     
     
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    „Nein“, sagte Hermine. Dabei hatte ich gar nichts gefragt, verlangt oder vorgeschlagen. Wir saßen gemütlich im halbdunklen Wohnzimmer und ließen es draußen immer dunkler werden. Wir hielten Händchen, wir waren schläfrig. „Nein“, sagte sie noch einmal, fester, endgültiger. „Hä?“ fragte ich und Hermine sagte zum dritten Male: „Nein.“
    „Es ist doch so“, führte sie aus, „man kann einfach generell NEIN zu allem sagen. Genau das tue ich. Ich sage NEIN zu allem: Zu diesen ganzen Wohltaten, die sie gerade über uns schütten – das heißt: über MICH ja nicht! Mir hat noch niemand irgendetwas angeboten, nicht einmal Filialleiterin bei Schlecker oder dem, was nach Schlecker kommt. Bisher wurden nur Männer beglückt. Du, Borsig und... weißt du schon, dass Marxer morgen bei Maybrit Illner in der Talkshow sitzt? Zufall?“ Ich stöhnte auf. Auch das noch. Das würde den Kerl definitiv auf Wolke Sieben heben, dorthin, wo die Dichter sitzen und dichten, weil sie sich für das Gewissen und den Lehrmeister der Nation halten. Aber egal. Konnte man nicht ändern. Hermine hatte natürlich Recht.
    „Und ich sage zu alledem NEIN“, führte sie weiter aus, „weil ich einfach denke... wir sollten eben NEIN sagen. Machen andere doch auch! Die in Stuttgart! Die von dieser Occupy-Bewegung! Und und und.“ Ich nickte. Ja, wir sollten Nein sagen. „Interessant“, sagte ich, „was da gerade passiert. Eine Entkriminalisierung der Gesellschaft, gewissermaßen. Sie funktioniert nach dem Belohnungssystem, was sich übrigens bei der Tierdressur bewährt hat. Wenn du willst, dass dein Hund dir Pfötchen gibt und die Fresse hält, dann reich ihm ein Leckerli. Schläge und verbale Drohungen bewirken immer das Gegenteil, sie machen aggressiv. Genau das hat man ja auch bei uns versucht. Drohungen, Angriffe, Morde. Hat nichts gebracht. Also hat man sich besonnen und versucht es nun mit Belohnungen.“
    „Hm, und wieso Entkriminalisierung?“ „Weil dadurch die Verbrechen der Vergangenheit quasi ungeschehen gemacht werden

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