Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Büro und meiner neuen Sekretärin.
„Mir hat kein Schwein was angeboten.“ Hermine sagte es mit einer Mischung aus Bedauern und Ironie. „Kommt noch“, tröstete ich sie. „Vielleicht bekommst du eine eigene Fernsehshow.“ „Verarsch mich nicht“, sagte Hermine. „Außerdem ist Marxer schon bei Maybrit Illner. Oxana hats mir gerade erzählt, wir haben telefoniert. Völlig von der Rolle, der Bursche.“ „Und Borsig hat eine Würstchenbude gekriegt und Kriesling-Schönefärb ist...“ „Weiß ich doch“, winkte Hermine ab. „Sie setzen auf die Käuflichkeit der Menschen – und das ist weiß Gott nicht das Riskanteste, was man tun kann. Sicherer als griechische Staatsanleihen allemal.“
Ich würde mich nicht kaufen lassen. Hermine hatte angefangen, Kaffee zu kochen, ein sehr gutes Zeichen. In der Küche war es mollig warm, ein Aschenbecher war inzwischen auch aufgetaucht, perfektes Dasein. Was machte ich gerade? Ich irrte umher. Ich versteckte mich, ich wich allem aus, ich war passiv. So wollten sie mich haben. Also musste ich das ändern. Aktiv werden. Was war ich? Bundesbeauftragter für das Bürgerglück. Was machte man in diesem Job? Die Bürger glücklich. Wie? Das genau war die Frage. Ich würde mich dranmachen, sie zu beantworten.
Jonas und Laura und Katharina gesellten sich zu uns. Sie steckten noch in ihren Schlafanzügen, war eine lange Nacht in der Spielhalle gewesen. „Ahoi, Bundesbeauftragter“, begrüßte mich Jonas, „nur mal so zur Info: Ab sofort beträgt der Tarif 200 Euro, du weißt schon für was. Von einem Beamten nehm ich grundsätzlich mehr.“ Ich nickte es ab. Sollst du haben, mein Sohn. Ich überlegte. Mit was könnte man jemanden wie Jonas glücklich machen? Mit einem xbeliebigen Jackpot und unbegrenztem Spieletat. Aber das war viel zu einfach, darum ging es ja nicht. Es ging nicht um Materielles, es ging um GLÜCK. Um einen Geistes- und Seelenzustand, um eine gehobene Ausschüttung von Glückshormonen, um die Abwesenheit von Sehnsüchten und Wünschen. Tatsächlich? Bedeutete Glück, keine Wünsche mehr zu haben? Oder gehörten Wünsche, gehörten Ziele, gehörte vielleicht gar das Unerreichbare zum Glück dazu?
„Glück?“ Jonas stutzte. „Also wenn ich endlich mal die Schule hinter mir hab, das wäre schon ziemlich viel Glück. Und Laura und ich heiraten und haben ganz viele Kinder und die sind alle brav und hängen nicht in Spielsalons ab und haben erst mit 14 Sex.“ Laura errötete, Katharine giggelte. Wir tranken Kaffee. Hermine setzte sich an den Tisch, dachte nach, das sah man. „Glück? Das wäre... Wenn man sich nicht überlegen müsste, was Glück eigentlich ist. Weil man das Wort gar nicht kennt. Über Glück denkst du erst nach, wenn du es nicht hast.“ Kluges Mädchen.
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Schrott. Das ganze Leben ist Schrott. Wir stellen Dinge her, um ihnen dabei zuzusehen, wie sie zu Schrott werden, damit wir sie durch neue Dinge ersetzen können. Es gibt nur drei Dinge, die mit den Jahren besser werden: Wein, Männer und alte Möbel. Aber selbst dort: nicht jeder Wein, nicht jeder Mann, nicht jedes Möbel. Der Rest wird zu Schrott und geht den Weg allen Schrotts.
Nicht dass Karl-Heinz, als er seinen Wagen in die Parklücke lenkte, sich solche Gedanken gemacht hätte. Dazu war sein Gehirn nicht geschaffen, außerdem war es zu alt, also längst Schrott. Aber er hätte diese Weisheiten abgenickt. Er wusste, wovon gesprochen wurde, er war Schrotthändler, der einzige realistische und ehrliche Berufsstand, vom Krimiautor natürlich abgesehen. Karl-Heinz pfiff munter vor sich hin. Keine Karnevalsmelodie, um Himmelswillen! Einen aktuellen Hit, der ihm die Karnevalsmelodien aus dem Kopf vertreiben sollte. Er hatte heute Morgen zusammen mit seiner Prinzessin noch beim „närrischen Frühschoppen des mittelständischen Vereinigung des korkverarbeitenden Gewerbes“ agiert, das heißt: dauernd „Helau!“ ausgerufen, mit den Armen und Händen gewackelt, sein Schmierlächeln auf den Lippen. Bianca, seine Prinzessin, im großzügig ausgeschnittenen Gewand, das Zahnpastagrinsen im Gesicht. Sie stank. Schweiß und Parfüm, Dummheit und Geldgeilheit.
„Ich muss mal aufs Klo“, hatte sie ihm ins Ohr geflüstert. Früher wäre er mitgegangen, schnelle Nummer. Jetzt sagte er nur: „Na und? Soll ich dich hintragen oder was?“ Er dachte schon an den Nachmittag. Er freute sich darauf. Er schwebte in Gedanken auf einer ganz bestimmten Wolke. Bianca ging aufs Klo und
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