Die Einsaetze
zwischen Schwanheim und Griesheim benutzt. Die nächste Brücke, die auf die
Staustufe folgt, ist die Schwanheimer Brücke mit der stark befahrenen B40 zwischen Nied und
Schwanheim. Da kann man sich auch nicht einfach so hinstellen und einen Kerl abknallen. Wenn
die Leiche hätte flussaufwärts schwimmen können, käme die Leunaubrücke noch in Betracht, auf
der viel weniger Verkehr ist. Nein, das funktioniert alles nicht! Geschossen wurde daher hier über
der Nidda. Bei Nacht, mit Mündungsfeuerdämpfer. Auch ohne hätte Christian Paulus die Schüsse
selbst nicht mehr gehört. Er hat nicht geschrien, er hat ja auch nicht gelitten. So müssen die
Schergen der Nazi-Völkervernichter von hinten an ihre nackten Opfer vor der großen Grube
herangetreten sein. So wie an Christian Paulus. So wie neulich nachts. - Seine Leiche wurde von dieser Brücke gestoßen.
Der Tatort beflügelte stets Palmstedts Vorstellungskraft. Oft war ihm so, als durchfuhr ihn an den
Orten des gewaltsamen Geschehens eine ganz besondere Energie, manche Orte bekamen für
Palmstedt dadurch etwas Erhabenes, mutierten zu heiligen Orten, die ihn wie einen Pilger anzogen,
zu denen er in seinen Gedanken immer wieder zurückkehrte, sie umkreiste, sie verinnerlichte. Auch
hier in der Aue kann Palmstedt diese Energie spüren, in der kein Schweizer Gardist schützend die
Zugänge bewachte in jener Nacht vor den Gesandten des Antichristen, vor der Bruderschaft des
Bösen, vor den Schlächtern der Uranmafia, nach deren Werk dieser Profimord aussieht. Oder
aussehen soll.
Palmstedt hat Witterung aufgenommen. Mit einem Handtuch aus dem Kofferraum wischt er sich
den Schweiß von seinem Gesicht und drahtigen Oberkörper, zieht Hemd und Jeans über, wechselt
die Schuhe. Er muss erst in knapp zwei Stunden am Flughafen sein. Er kann Katja den Einsatz per
Handy bestätigen. Es ist noch Zeit. Palmstedt kann daher gleich anfangen. Aber das Laufen hat ihn
durstig gemacht. Er nimmt daher erst noch einen kräftigen Schluck aus der selbst gefüllten
Wasserflasche. - Wasser, mit Geschmack.
*
Ihre Absätze klackerten laut über die Kacheln des leergeräumten Hauses in Nieder-Olm bei Mainz,
in das sie nach seiner Beförderung gezogen waren. Die Espressomaschine brodelte und verströmte
einen bitter schönen Geruch, der sich in dem der scharfen Reiniger verlor. Sie stand in der Küche
und servierte zum letzten Mal ihr geliebtes Getränk in den blauen Tässchen, die sie bis jetzt nicht
eingepackt hatte. Nur noch wenige Kartons mussten von der Umzugsfirma abgeholt werden.
Gabriela war wundervoll, sie trug ihr schwarzes Kostüm aus der Via Condotti, ihre Jahre sah man
ihr immer noch nicht an. Nur die Natur wusste Bescheid. Gabrielas Frisur war kürzer jetzt,
jugendlicher, die roten Wellen ließen sich aber dennoch nicht unterdrücken. Palmstedt hatte es
lieber, wenn sich Gabriela fraulicher gab, ihre Haare länger, wallender fielen. Sie kamen Palmstedt
immer wie ein Stück ungebändigte Natur vor, wenn er seine Hände in sie eintauchte und sein
Gesicht darin begrub. Ihr leuchtend rotes Haar, das immer im Widerspruch zu ihrer Herkunft stand!
Gabriela hatte in den schweren Stunden, die hinter ihm lagen, tapfer zu ihm gehalten. Jetzt,
nachdem er alles verloren hatte, ging auch sie. Ihr Ehevertrag ließ die Dinge unkompliziert regeln.–
Wie konnte er sie nur so verletzen? Warum gab es auf einmal keine einfachen Wege mehr?
Sie reichte ihm die zerbrechliche Tasse.
„War es das wert, mio caro?!“
Palmstedt nahm einen kurzen Schluck und sah zum Fenster hinaus, hinüber zu den Weinlagen. Er
sah Michelles Püppchen gleiches Gesicht, ihr lebensfrohes Lachen, das ihn vom ersten Moment an
in seinen Bann zog. So sehr, dass er die Beziehung zu dieser wundervollen Frau, die ihm all die
Jahre zur Seite stand, aufs Spiel setzte. Die jugendliche Unbekümmertheit von Michelle und ihr
lustvoller Umgang mit ihrem Körper war so ansteckend, dass es Palmstedt vorkam, als fege ein
Wirbelwind durch sein Leben, das trotz seines bizarren Berufes auch sein Pauschales hatte, dessen
Verlauf absehbar war. Kalkulierbar. Wie hätte er Gabriela verständlich machen können, dass es
diese
Kindfrau war,
die ihm den Hof
machte, um seine Gunst warb, Blumen an seinen Scheibenwischer steckte, Gedichte für ihn schrieb, herzzerreißende Grußkarten malte, ihm auf den
Anrufbeantworter sang? Nie zuvor hatte je eine Frau um Palmstedt geworben. Immer war er es, der
den Anfang machte, das Spiel
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