machen Sie denn hier draußen?»
«Darf ein General etwa nicht einen verwundeten Soldaten an der Front besuchen?» Geisel grinste und versetzte Grove einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter. Doch seine Gesten wirkten leicht gezwungen.
«Mir geht es gut… es war nur… eine ganz unerhebliche Sache… Erschöpfung, nehme ich an.»
«Was sagen die Ärzte?»
«Die sagen, ich habe das Herz eines Zwölfjährigen.»
Die beiden Männer lachten nervös. Grove reckte den Daumen in Richtung seines Zimmers und sagte: «Kommen Sie doch mit rein.»
Sie schlossen die Tür hinter sich, um ungestört zu sein. Geisel hängte seinen Mantel über die Rückenlehne des Sessels, bevor er Platz nahm. Grove setzte sich auf die Bettkante. In dem babyblauen Krankenkittel mit ausgeblichenem Muster und dem Rückenschlitz, aus dem sein Hintern hervorlugte, verspürte er gegenüber seinem Vorgesetzten eine peinliche Blöße. Der grauhaarige Abteilungschef fuhr sich nachdenklich mit der Hand über die Lippen und kam ohne Umschweife zur Sache. «Ulysses, mir ist daran gelegen, dass Sie sich eine Auszeit gönnen», sagte er.
«Tom, ich weiß, wie das hier für Sie aussehen muss, aber ich verspreche Ihnen – »
«Es geht mir nicht darum, wie es aussieht. Es geht mir um Sie», unterbrach ihn Geisel. «Ich brauche Ihre volle Einsatzkraft.»
«Ich fühle mich prima, Tom.»
«Ich glaube Ihnen. Wirklich. Doch vielleicht sollten Sie sich eine Auszeit gönnen; ein paar Wochen Urlaub haben noch niemandem geschadet. Danach haben Sie den Kopf wieder frei.»
«Ein paar Wochen.»
«Ulysses – »
«In ein paar Wochen ist der Sun-City-Fall so kalt wie das Eis in der Antarktis.»
Geisel sah ihn streng an. «Keine Diskussion, Junge.»
Grove seufzte und ließ die Schultern hängen.
Geisel griff in sein Sportsakko und fischte etwas aus der Innentasche. «Ich wusste ja, dass Sie nicht gerade der Typ sind, der in einer solchen Situation den Kopf in den Sand steckt», sagte er und faltete ein Dokument in Briefbogen-große auseinander. «Und da ist mir diese Sache eingefallen. Das hier ist vor ein paar Monaten bei mir reingeschneit, und ich dachte mir: ‹Moment mal! Das ist eine perfekte Möglichkeit für Ulysses, von seinem Fall Abstand zu gewinnen.› Lesen Sie selbst.»
Er stand auf und reichte Grove das Blatt. Ulysses warf einen Blick auf das Papier, musste den Text aber zweimal lesen, um wirklich zu begreifen, was darin stand.
Dass sich zwischen den Zeilen eine Botschaft verbarg, die ihn nicht nur der Lösung seines Falles näher brachte, sondern auch sein Leben für immer verändern sollte, entging ihm.
Kapitel 2
Neolithisch
Von:
[email protected] Datum: 11.2.04 /10:03:01 a. m. pazifische Standardzeit An: Tgeisel@BSU/FBI.com Betreff: Fwd: Eine interessante Möglichkeit für ein Täterprofil
Sehr geehrter Mr. Geisel,
mein Name ist Maura County, und ich bin Redakteurin des Discover Magazine. Sie sind ein viel beschäftigter Mann und müssen sich sicherlich um wichtigere Dinge kümmern, als den Ansinnen neugieriger Medien nachzukommen. Dennoch, einen Versuch ist es wert. Auch wenn sich meine Geschichte absurd anhört, könnte sie vielleicht von Interesse für Sie sein.
Als Redaktionsmitglied des Discover Magazine und Verfasserin regelmäßiger Beiträge zu archäologischen Themen bin ich mit der wissenschaftlichen Materie vertraut. Nun wurde in Alaska, im Lake Clark National Park, kürzlich eine Entdeckung gemacht, die ich als äußerst aufregend empfinde. Im vergangenen Jahr stießen Anfang April zwei Bergwanderer an einer Flanke des Mount Cairn, ungefähr zweihundert Meter unterhalb des Gipfels, auf eine gefrorene Leiche, die das Eis freigegeben hatte. Der Körper war gut erhalten; anscheinend hatte er in einer Art Schneekapsel unter dem Gletscher die Zeit überdauert.
Da dieser Teil des Bundesstaates unter die Gerichtsbarkeit des Bureau of Land Management fällt, wurde die Leiche in die Obhut des örtlichen Außenbüros des FBI übergeben. Zuerst nahm man an, es handele sich um die sterblichen Überreste eines einheimischen Bergsteigers, der seit einigen Jahren vermisst wird, aber dann entschied sich ein Ermittler, bei der University of Alaska in Anchorage anzurufen und jemanden aus dem Archäologischen Institut um eine Expertise zu bitten.
Zu diesem Zeitpunkt setzte sich bereits innerhalb der Behörde die Ansicht durch, man habe es möglicherweise mit den mumifizierten Überresten eines Bergsteigers