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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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Beckens sowie einer funktionellen Beinlängendifferenz, die laut ärztlichem Attest acht Millimeter betrug. Acht Millimeter nur, wie lassen die sich überhaupt messen?, fragte er sich häufig. Doch an kalten Tagen reichten sie aus für einen eiernden Gang, für Kreuzbeschwerden, die er an den Trainingsgeräten eines Studios für Rückengymnastik bekämpfte. Sowie durch gelegentliches Laufen.
    Belebt durch die Dehnübungen stieg Myrbäck in seinen Jogginganzug, fischte, bevor er die Wohnung verließ, den Computer aus seiner Chlorwasserspülung, vergrub ihn unter welken Salatblättern im Küchenabfall und warf den Müllsack in eine der Tonnen im Hinterhof.
    Es war ein Fehler, durch den Park zu laufen. Die Gärtner hatten über Nacht das platte Land in die Stadt geholt. Planten un Blomen stank nach Kacke. An der Nordseite des Parks war großflächig Dung auf die Beete mit dem Flieder und den Berberitzen gehäuft worden. Myrbäck brach seinen Dauerlauf ab, verließ den Park in Höhe der Eislaufbahn und trabte schleppend in Richtung Westen. Das Blut pochte in seinen Beulen.
    Sein Ziel war die Perma-Corro GmbH, ein Korrosionsschutzbetrieb, der von Holzapfel und seinen beiden Kompagnons betrieben wurde. Es waren keine Frachtschiffe oder Tanklaster, denen sie hier einen großindustriellen Anstrich verpassten, nein, es waren die Gartenzäune und Garagentore der Nachbarschaft, denen sie zu einer Auffrischung verhalfen. Wenn überhaupt. Denn die »Perma-Corro« diente als Tarnung. Sie gab dem verbrecherischen Tun der Männer einen zivilen Anstrich.
    In der Werkstatt traf Myrbäck auf Raschke. Dirk Raschke, Anfang vierzig, Lockenkranz um eine kreisrunde, haarlose Platte auf seinem länglichen Schädel. In einer eng sitzenden Jeansjacke saß er auf einem Hocker vor der Werkbank und bastelte an den zerlegten Teilen eines Hochdruckstrahlers herum. Seine Hände und Unterarme waren gesprenkelt mit Farbklecksen.
    – Raschke, weißt du, wo Holzapfel ist?
    – Wüsste ich selber gern, antwortete Raschke gedehnt. Er sah nicht einmal auf, als er fragte:
    – Was keuchst du so? Der Mensch ist doch kein Terrier.
    Myrbäck ignorierte ihn.
    – Also, was ist mit Jan?
    – Weiß nicht. Wir haben den Kleingärtnern vom »Fasanengarten II« versprochen, die Schrankenanlagen zu streichen. Gegen einen Freundschaftspreis. Weil: Eine Hand wäscht die andere. Wir haben also heute noch einen Auftrag zu erledigen.
    Myrbäck fragte nicht weiter nach. Es ging ihn nichts an, was da von wem gewaschen wurde.
    Eigentlich kenne ich keinen Menschen, dachte Myrbäck jedes Mal, wenn er Raschke betrachtete, der betrübter aussieht. Das lag möglicherweise an dem stets leicht geöffneten Karpfenmund oder den eng zusammenstehenden Augen über der nach oben strebenden Nase. Gewiss aber lag es an seinen Blicken. Sie brachten einen dazu, besorgt nachzufragen, was denn los sei. Raschke sah kaum einmal unbeschwert aus, fröhlich. Und wenn man mit ihm sprach, dann schien es, als wäre er gerade mit anderem beschäftigt. So als jagte sein Innerstes jenen Momenten der Seligkeit nach, in denen das Chaos eine Struktur gebiert, eine Harmonie. Ja, Raschke hatte die weltvergessenen Blicke eines Violinvirtuosen, dachte Myrbäck, das ist es.
    – Du weißt nichts über einen Audi?
    – Nö. Sollte ich?
    – Hast nichts von einem Q7 gehört?
    – Nö. Wie gesagt.
    Eine eloquente Berichterstattung war Raschkes Sache nicht. Konzentriert schraubte er an dem Kompressor in seinen Händen, dann blies er in ein kleines Rohr hinein. Seine Finger waren flink. Er blickte auf und musterte Myrbäcks Kopf.
    – Was ist mit deinem Schädel passiert?
    – Wüsste ich selber gern, erwiderte Myrbäck. Ein Sturz.
    – Beim Laufen, was?
    – Ja, beim Laufen.
    – Sag ich doch. Der Mensch ist kein Terrier.
    Myrbäck verschwand in den Tiefen der Werkstatt. In der Nachkriegsnot als Provisorium zusammengehauen, stellte sie durch ihre gedrungene Form, ihre Schale aus Eternit und rohem Mörtel, eine optische Blamage dar. Sie hatte den Platz, den sie verdiente: Am äußeren Ende des Gewerbehinterhofs, verdeckt von einer gewaltigen Kastanie und zugestellt von Autos, die auf ihre Reparatur in den benachbarten Autosattlereien oder Lackierereien warteten. Als Holzapfel die Werkstatt angemietet hatte, war sie als Reifenlager benutzt worden. An heißen Tagen stank es noch immer nach Gummi.
    – Raschke, sag mir eines, fragte Myrbäck durch die Tür. Warum kommt Holzapfel nicht, wenn man mit ihm verabredet

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