Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
untergebracht, bei den Schädeln sind die Betten belegt, haben sie uns erklärt. Alle, denen man die Mandeln aus dem Rachen operiert hatte, bekamen Eis von morgens bis abends. Es kühlt den Rachen. Das bedeutete: Erdbeereis so viel und wann immer du wolltest. Ich habe dich sehr beneidet, damals, weißt du? Du warst gerade eben fünf.
Ich weiß, dass er mich braucht, auch wenn er es selber noch nicht versteht, weil er die Dinge eben allmählich versteht. Dann aber richtig. Er ist geduldig, im Kleinen wie im Großen, er wartet. Ich weiß es, seit er mich in einer dieser ganz gewöhnlichen Einbauküchen mit einem schüchternen Blick angestarrt hat, vom dem ich damals schon ahnte, dass ich ihn nie und niemals vergessen würde. Ich begreife auch nicht immer alles sofort, ich bin nicht die Klügste. Du zögerst, du glaubst mir nicht, kleine Schwester, weil du mich kennst nach so langer Zeit, doch es ist wahr. Wahr.
Die Liebe ist ein wundersamer, ein glückseliger Ort, ich aber entfliehe ihm.
Mitten in der Nacht wird unser Bus in Ljusne zum Stehen kommen, ich werde mit einem Ächzen aufstehen, denn das lange Sitzen hat meine Knochen eingefroren. Die Luft auf dem Hyvelvägen wird meereskühl riechen und ein bisschen einsam, wie es da oben eben ist.
Und rate, was das Erste sein wird, was ich tue? Noch bevor ich an die Tür unserer Tante Gunilla klopfe oder mich nach Blåsut aufmache, um mir den Nordwind um die Nase wehen zu lassen? Ich werde zum Gussi-See gehen, ein halbstündiger Marsch ist es nur, an unsere Badestelle. Aber bestimmt erinnerst du dich nicht mehr, die Sommer sind lang her, und du warst klein, keine fünf Meter schwimmen konntest du. Irgendwo dort, zwischen Gneis und Sprungfelsen, wo immer nur die mutigsten der Jungen hinunterspringen, muss ein roter Tauchring am lehmigen Grund des Bodens liegen, denn ich habe ihn damals nicht finden können, obwohl ich tauchen konnte wie keine andere, über eine Minute lang. Unter Wasser ist er mir aus den Händen gerutscht, der Schwimmlehrer hat geschimpft wie nie, und lange glaubte ich, irgendein uralter Fisch mit Schuppen, dunkelrot und hart wie Rubine, müsse ihn sich in der Tiefe geschnappt haben wie unser beider Glück.
Ich werde kopfüber in das Wasser springen und ihn finden. Er ist längst grün und blau und braun von Algen, aber dafür ist er extra schwer, denn in seinem Inneren verwahrt er den Sand, der voller Erinnerungen ist und all unsere Träume wahr werden lässt.
Jede Wette, ich werde ihn finden. Denn wir haben ihn uns beide verdient.
Dank
»Die Engel warten nicht« ist ein Werk der Fiktion, seine Figuren sind frei erfunden.
Mein Dank geht an Claas Ole Feddersen, Keria und Peter Wittenberg, Karin Wikström, Christiane Bubner, Thomas Hölzl, Helmut Ballmert, Stephanie Listerdal für Hilfe und Unterstützung, an Cornelia Funke und Jussi Adler-Olsen für frühe Ermunterung.
Bei Mark Edwards möchte ich mich für das Wissen bedanken, das ich aus seinem Buch »Christiania« (1979) über die Anfangsjahre der Fristad Christiania gewonnen habe.
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