Die Entscheidung der Hebamme
stießen und sich begeistert Bemerkungen zuflüsterten.
»Jetzt ihr. Georg und Herwig zuerst!«, rief Christian.
Zwei der Jungen traten aus dem Kreis der Knappen hervor. Im gleichen Augenblick bemerkte Christian den Nahenden – ebenso wie Lukas, jener blonde Ritter, mit dem er die Übung vorgeführt hatte.
»Begrüßt Markgraf Dietrich von Landsberg, den Bruder eures Herrn, Markgraf Otto«, wies Lukas die Knappen an, die sofort gehorchten.
Während Dietrich den Gruß erwiderte, ging ihm durch den Kopf, wie verschieden voneinander die beiden Ritter waren, dennoch und trotz der zehn Jahre Altersunterschied die besten Freunde.
Christian, ein Ritter Mitte dreißig mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und einem kurzen, dunklen Bart, hatte etwas Düsteres an sich, was er durch die bevorzugt dunkle Kleidung und den Rappen, den er ritt, noch hervorhob und das ihm den heimlich geflüsterten Beinamen »Der schwarze Reiter« eingetragen hatte. Lukas hingegen, einst Christians Knappe und gelehriger Schüler, war im Umgang mit Schwert und Lanze kaum weniger respekteinflößend. Aber der Jüngere scherzte gern und zog mit seinen blauen Augen und den blonden Locken viele verstohlene und schmachtende Mädchenblicke auf sich.
Beide verneigten sich höflich vor dem Markgrafen der Ostmark.
»Ihr seid der einzige Burgvogt, den ich kenne, der seit seiner Ernennung kein Gran Fett angesetzt hat und sich nicht zu schade ist, den Knappen noch persönlich etwas beizubringen«, begrüßte der Markgraf den dunkelhaarigen Ritter mit freundlichem Spott. Sie kannten sich seit Jahren und hatten genug gemeinsam durchgestanden für solche Vertraulichkeiten; manches davon auch in einer heimlichen Verschwörung mit Hedwig, der Meißner Markgräfin, um ungerechte Entscheidungen ihres Mannes – seines Bruders Otto – abzumildern.
»Vielleicht hängt das eine mit dem anderen zusammen?«, gab Christian leichthin zurück, während ein selten zu sehendes Lächeln über sein Gesicht huschte. »Das zumindest würde meine Frau behaupten.«
»Ist sie in der Nähe? Ich würde sie gern begrüßen.«
Christian hielt Ausschau und entdeckte die Gesuchte zusammen mit einigen anderen Frauen und einem halben Dutzend Kinder. Gerade tröstete sie Hedwigs jüngste Tochter, die offenbar hingefallen war und nun herzzerreißend weinte. Marthe zog sich die kleine Adela auf den Schoß und legte ihr eine Hand auf das aufgeschlagene Knie, während sie beruhigend auf das schluchzende Mädchen einsprach.
Christian hoffte inständig, dass sich die Fünfjährige nichts dabei dachte, wenn der Schmerz durch die Berührung plötzlich nachließ. Normalerweise konnte er darauf vertrauen, dass Marthe wusste, wann sie ihre besonderen Fähigkeiten einsetzen durfte und wann nicht. Aber manchmal ließ sie sich aus Mitleid zu etwas Riskantem hinreißen. Deshalb war er doppelt froh, sie zu sich rufen zu können.
Hastig winkte er einen der Knappen heran. »Bitte die Dame Marthe hierher. Rasch!«
Nach einer knappen Verbeugung lief der sommersprossige Bursche los.
Währenddessen legte Dietrich dem Ritter seines Bruders einen Arm auf die Schultern. »Ich wurde gebeten, in einem Schaukampf mein Geschick mit dem Schwert zu beweisen. Da ich keinen besseren Gegner als Euch kenne, bitte ich Euch, erweist mir die Ehre.«
»Selbstverständlich. Die Ehre ist ganz auf meiner Seite.«
Dietrich lachte kurz auf. »Nun, ich hoffe, Ihr lasst mich nicht allzu behäbig aussehen.«
Eine junge Frau, schlank und zierlich, deren kastanienbraunes Haar von einem zarten Schleier bedeckt wurde, näherte sich ihnen und begrüßte den Markgrafen mit einem tiefen Knicks.
»Bitte, erhebt Euch, Dame Marthe!«, forderte Dietrich sie auf. »Je länger ich Euch kenne, umso schöner werdet Ihr.«
»Womöglich liegt es daran, dass meine Kleider immer schöner werden«, erwiderte sie mit verhaltenem Lächeln. Sie fand sich nicht schön, und an die höfischen Schmeicheleien hatte sie sich auch in zehn Jahren noch nicht gewöhnen können. Es lag wohl an ihrer Herkunft. Den Hungernden machten Worte nicht satt, so verheißungsvoll sie auch klingen mochten.
Dietrich jedoch hatte den Schalk in ihren Augen aufblitzen sehen und musste lächeln. Nicht viele Frauen schätzte er so wie diese für ihren Mut und ihre Klugheit. Er gehörte zu den wenigen, die wussten, dass Christians Frau über die Gabe des zweiten Gesichts verfügte – eine Gabe, die man besser geheim hielt, sollte sie nicht noch einmal vor einem
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