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Die Entscheidung der Hebamme

Die Entscheidung der Hebamme

Titel: Die Entscheidung der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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fetter.«
    Alle Blicke richteten sich auf einen Dickwanst am unteren Ende des Tisches, der gute Miene zum bösen Spiel machte und mit den anderen meckernd lachte.
    »Also«, fuhr Albrecht fort, »beweist, was Ihr könnt, meine Teure.«
    Er streckte ihr die rechte Handfläche entgegen. »Vermögt Ihr mir die Zukunft vorauszusagen?«
    »Ich lese nicht aus der Hand, Herr. Ich heile Krankheiten mit Kräutern und Salben.«
    »Soso.« Albrecht hielt nun seine Hand, als wollte er selbst daraus lesen. »Wenn Ihr klug wärt, würdet Ihr mir vorhersagen, dass ich einmal ein starker und mächtiger Herrscher werde. Das kann sogar ich aus meiner Hand erkennen.«
    Er sah sie herablassend an. »Aber es stimmt anscheinend, was ich gehört habe. Dass Ihr aus lauter Rechtschaffenheit nicht einmal eine kleine Notlüge über Eure Lippen bringt, selbst wenn sie Euch nutzen würde. Wie dumm von Euch!«
    Nun wurde sein Ton herrisch und gereizt. »Ist Euch nicht klar, Ihr einfältiges Weib, dass Ihr mir ein Dorn im Auge seid? Überzeugt mich auf der Stelle, dass Ihr mir auch nur irgendwie von Nutzen sein könnt, oder Ihr könnt Euch heute noch einen Unterschlupf in den Bauernkaten suchen – dort, wo Ihr hingehört.«
    Marthe ließ ihre Blicke kurz über die Männer in Albrechts Nähe schweifen, die sie während dessen Reden bereits unauffällig beobachtet hatte.
    »Den Ritter zwei Plätze zu Eurer Rechten plagt ein Leberleiden, das ich mit einem Kräutersud und besonders zubereiteter Kost mildern könnte.«
    Sie erkannte das an der Gelbfärbung seiner Augen und seiner Haut.
    »Der Mann neben ihm« – sie wies auf einen Ritter in mittleren Jahren, der seinen rechten Arm nur vorsichtig bewegte und jedes Mal das Gesicht schmerzvoll verzog, wenn er ihn anwinkeln musste – »hat sich die Schulter gezerrt, wogegen Rotöl hilft.«
    Dann wies sie auf den Fetten, dem Albrecht eine Schwangerschaft unterstellt hatte. »Seine Galle produziert schlechte Säfte. Ein Bader sollte ihn zur Ader lassen.«
    Das mit den Gallensäften war geraten, aber anzunehmen bei dieser Statur, und ein Aderlass galt in besserer Gesellschaft als probates Mittel gegen beinahe jedes Leiden. Der Fette würde es überstehen, und ihr konnte niemand unterstellen, die Kunst der Bader und gelehrten Ärzte geringzuschätzen.
    Die erstaunten Ausrufe der Männer an der Tafel gingen mittlerweile in einen regelrechten Tumult über.
    Marthe beugte sich zu Albrecht vor, sah ihm direkt in die Augen und raunte: »Und Ihr solltet nicht länger auf Bilsenkraut vertrauen, um Eure Sinne zu schärfen! Sonst werden die Alpträume immer furchtbarer, die Euch quälen.«
    Albrecht fuhr zurück, und an seiner Reaktion erkannte sie, dass sie richtig beobachtet hatte. Seine Pupillen und die tief umschatteten Augen hatten ihn verraten.
    Marthe wusste, dass es unter jungen Rittern in Mode gekommen war, sich mit Hilfe einer winzigen Menge Bilsenkraut bei einer Jagd hervorzutun – sie hörten und sahen dann besser und reagierten schneller als alle anderen. Albrecht war ehrgeizig, und er würde sich nie nachsagen lassen, dass man ihm den stattlichsten Hirsch zutrieb, wie es bei hohen Herren üblich war. Wer weiß, bei welchen Gelegenheiten er das verhängnisvolle Kraut noch genommen hatte, um vor den anderen zu brillieren – vielleicht auch für den Schwertkampf oder um die Manneskraft zu stärken. Doch je öfter man danach griff, umso schrecklicher wurden die Erscheinungen, die einen erst im Schlaf, später auch am helllichten Tage heimsuchten.
    »Ich vermag Euch von den Alpträumen zu heilen«, sagte sie leise. Nur Albrecht und Elmar hatten sie verstehen können.
    Dann richtete sie sich auf und blickte in gespielter Demut zu Boden.
    Albrecht hatte zurück zu seiner Haltung gefunden, der Aufruhr begann sich zu legen, und sie musste nun dafür sorgen, dass niemand auf den Gedanken kam, es wäre Hexerei, was sie da gerade getrieben hatte.
    »Das alles sind Dinge, die ich an Euren Augen, Händen oder der Gesichtsfarbe ablesen und mit Heilpflanzen kurieren kann, wie sie die Mönche auch verwenden«, sagte sie in das jäh entstandene Schweigen hinein. »Doch es ist der ausdrückliche Wunsch von Bischof Martin, dass unser ehrwürdiger Dorfpfarrer zugegen ist, wenn ich Kranke behandle. So kann jeder sicher sein, dass es ein frommes Werk und nicht etwa heidnischer Zauber ist.«
    Albrecht wechselte einen Blick mit Elmar, dann stand er mit einem Ruck auf.
    »Das Mahl ist beendet!«, fuhr er seine Leute an.

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