041 - Um Mitternacht im Leichenhaus
Der geheimnisvolle Eindringling in dem dunkelblauen Trenchcoat huschte wie
ein Schatten durch das stille Haus, das Henry Olander zu seinen Lebzeiten Hotel Olander getauft hatte, in das obere Stockwerk. Der Mann
warf einen Blick auf seinen Zeitmesser. Obwohl es noch nicht fünfzehn Uhr war,
schien der Abend bereits angebrochen zu sein. An diesem düsteren, regnerischen
Tag drang kein Sonnenstrahl durch die dicke zähe Wolkendecke.
Sie waren im Maskenzimmer verabredet.
Der Raum wurde so bezeichnet, weil Henry Olander darin eine kostbare Sammlung von handgeschnitzten Masken aus dem alten Afrika
und Neuguinea aufbewahrte.
Der Fremde überschritt die Schwelle und nahm in einem tiefen, mit Samt
bezogenen Sessel Platz. Er war überzeugt, allein zu sein und bemerkte erst im
letzten Augenblick die tödliche Gefahr.
Ein Schatten löste sich lautlos hinter einer der mannsgroßen Statuen, deren
Gesicht aus einer grellen teuflischen Fratze bestand. Das Messer, das durch die
Luft zischte, war alt und hatte die Form eines Duellmessers, wie es einst im
Spanien des Mittelalters benutzt worden war.
Es drang ihm genau in die Brust.
Der Mann kippte heiser gurgelnd vornüber. Sofort griffen zwei Hände nach
ihm und fingen ihn auf.
●
Zeitgleich gab auf dem abgelegenen, stillen Friedhof eine große
Trauergemeinde dem toten Komponisten Henry Olander das letzte Geleit. Unter den Teilnehmern der Beerdigung befanden sich außer
Freunden und Verwandten viele fremde Gesichter – Menschen, die nur den Namen Olander kannten. An der Spitze des Trauerzuges
ging die verschleierte Witwe Karen Olander . Ihr
hübsches Gesicht war bleich, die Augen vom Weinen gerötet. Judy Bartmore , ihre beste Freundin, stützte sie. Sie näherten
sich der geöffneten Gruft, und der schwere massige Eichensarg wurde von den
Totengräbern in die Tiefe gelassen.
Karen Olander schluchzte. Ihre Augen glänzten wie
im Fieber.
Judy Bartmore atmete tief durch. Ein absurder
Gedanke erfasste sie plötzlich, als sie den Sarg vor sich sah. Sie konnte nicht
fassen, dass von diesen vier schmalen Brettern der Mann umschlossen wurde, der
noch vor drei Tagen gelacht, gesungen und gescherzt hatte.
Sie musste ständig daran denken, dass dies hier nicht die Wirklichkeit sein
durfte, dass es nur einer ihrer Filme war, und dass sie eine Rolle zu spielen
hatte. Vielleicht stand Henry Olander irgendwo hinter
einem Grabstein und plauderte mit dem Regisseur?
Die Kraft der Vorstellung war so groß, dass sie unwillkürlich hochsah und
hinüber zu den düsteren Reihen der Grabsteine blickte. Auf einmal hielt sie die
Luft an, weil sie für den Bruchteil eines Augenblicks den Eindruck gewann, dass
ein Schatten seitlich der mächtigen Trauerweide auftauchte, aber schon wieder
verschwunden war, noch ehe sie einen zweiten Blick darauf werfen konnte.
Im selben Augenblick spürte sie den Druck einer festen Hand in ihrer
Ellenbeuge. Sie zuckte zusammen, schloss jedoch sofort erleichtert die Augen.
»Ernest«, flüsterte sie kaum hörbar.
Ernest Bartmore nickte ihr aufmunternd zu. Müde
und abgespannt sah er aus. Fast schien es, als ob er an den
Beisetzungsfeierlichkeiten nicht hätte teilnehmen können. Er steckte mitten in
den Verhandlungen zu einer neuen Fernsehserie. Doch er hatte die Termine
umgestellt und war gekommen, um seinem besten Freund die letzte Ehre zu
erweisen.
Fast fühlte sich Judy Bartmore veranlasst , ihrem Mann gegenüber ihre Gefühle zu schildern,
doch dann unterließ sie es.
Karen Olander , Judy und Ernest Bartmore waren die letzten, die den Friedhof verließen.
Als die junge Witwe im Wagen saß, brach sie zusammen. »Ich habe Angst, ich
habe schreckliche Angst, Judy. Die Einsamkeit ...« Ihre hellblauen Augen
suchten den Blick der Freundin.
Judy schüttelte den Kopf. »Ich habe schon mit Ernest über alles gesprochen.
Du brauchst selbstverständlich Abstand von den Ereignissen. Ruhe und
Entspannung wirst du in unserem Haus finden .«
Karen schloss die Augen, dann nickte sie. »Danke«, flüsterte sie. »Was
würde ich bloß ohne euch anfangen. Es ist gut, in schweren Stunden solche
Freunde wie euch zu haben .«
»Ich werde mich um Karens Garderobe kümmern«, schaltete sich Ernest Bartmore ein, der auf dem Vordersitz neben seiner Frau saß.
»Du kannst Karen einstweilen nach Hause bringen .«
Judy lehnte ab. »Das kommt nicht in Frage. Ich nehme dir diese Arbeit
selbstverständlich ab .« Sie sprach ruhig, mit einer
etwas herben Stimme, die
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