Die Entstehung der Arten Illustriert - Ueber die Entstehung der Arten durch natuerliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der beguenstigten Rassen im Kampfe ums Dasein
haben. An einem Baume kann man diesen oder jenen Zweig unterscheiden, obwohl sich beide bei der Gabelteilung vereinigen und ineinander fließen. Wir könnten, wie gesagt, die verschiedenen Gruppen nicht definiren; aber wir könnten Typen oder solche Formen hervorheben, welche die meisten Charaktere jeder Gruppe, groß oder klein, in sich vereinigten, und so eine allgemeine Vorstellung vom Werte der Verschiedenheiten zwischen denselben geben. Dies wäre das, wozu wir getrieben werden würden, wenn wir je dahin gelangten, alle Formen einer Klasse, die in Zeit und Raum vorhanden gewesen sind, zusammen zu bringen. Wir werden zwar gewiß nie im Stande sein, eine vollständige Sammlung zu machen, demungeachtet aber bei gewissen Klassen uns diesem Ziele nähern; und Milne Edwards ist noch unlängst in einer vortrefflichen Abhandlung auf der großen Wichtigkeit bestanden, sich an Typen zu halten, gleichviel ob wir im Stande sind oder nicht, die Gruppen zu trennen und zu umschreiben, zu welchen diese Typen gehören.
Endlich haben wir gesehen, dass natürliche Zuchtwahl, welche aus dem Kampfe um’s Dasein hervorgeht und zu Erlöschung und Divergenz des Charakters in den vielen Nachkommen einer herrschenden Stammart fast unvermeidlich führt, jene großen und allgemeinen Züge in der Verwandtschaft aller organischen Wesen, nämlich ihre Sonderung in Gruppen und Untergruppen erklärt. Wir benutzen das Element der Abstammung bei Klassification der Individuen beider Geschlechter und aller Altersabstufungen in einer Art, wenn sie auch nur wenige Charaktere miteinander gemein haben; wir benutzen die Abstammung bei der Einordnung anerkannter Varietäten, wie sehr sie auch von ihrer Stammart abweichen mögen; und ich glaube, dass dieses Element der Abstammung das geheime Band ist, welches alle Naturforscher unter dem Namen des natürlichen Systemes gesucht haben. Da nach dieser Vorstellung das natürliche System, so weit es ausgeführt werden kann, genealogisch geordnet ist und man die Grade der Verschiedenheit durch die Ausdrücke Gattungen, Familien, Ordnungen u. s. w. bezeichnet, so begreifen wir die Regeln, welche wir bei unserer Klassification zu befolgen veranlasst werden. Wir können begreifen, warum wir manche Ähnlichkeit weit höher als andere abzuschätzen haben; warum wir mitunter rudimentäre oder nutzlose oder andere physiologisch unbedeutende Organe anwenden; warum wir beim Aufsuchen der Beziehungen der einen zu der andern Gruppe analoge oder Anpassungscharaktere kurz verwerfen, obwohl wir dieselben innerhalb der nämlichen Gruppe gebrauchen. Es wird uns klar, warum wir alle lebenden und erloschenen Formen in wenig große Klassen zusammen ordnen können, und warum die verschiedenen Glieder jeder Klasse in den verwickeltsten und strahlenförmig auseinanderlaufenden Verwandtschaftslinien miteinander verkettet sind. Wir werden wahrscheinlich niemals das verwickelte Verwandtschaftsgewebe zwischen den Gliedern irgend einer Klasse entwirren; wenn wir jedoch einen einzelnen Gegenstand in’s Auge fassen und nicht nach irgend einem unbekannten Schöpfungsplane ausschauen, so dürfen wir hoffen, sichere aber langsame Fortschritte zu machen.
Professor Häckel hat in seiner ‚Generellen Morphologie’ und in mehreren anderen Werken neuerdings sein grosses Wissen und Geschick darauf verwandt, das, was er Phylogenie oder die Descendenzlinien aller organischen Wesen nennt, zu ermitteln. Beim Verfolgen der einzelnen Reihen verlässt er sich hauptsächlich auf embryologische Charaktere, zieht aber ebenso gut homologe und rudimentäre Organe wie auch die Perioden, in welchen, wie man annimmt, die verschiedenen Lebensformen in unseren geologischen Formationen nacheinander aufgetreten sind, zu Hilfe. Er hat damit kühn einen ersten Anfang gemacht und zeigt uns, wie die Klassification künftig zu behandeln sein wird.
Morphologie
Wir haben gesehen, dass die Glieder einer und derselben Klasse, unabhängig von ihrer Lebensweise, einander im allgemeinen Plane ihrer Organisation gleichen. Diese Übereinstimmung wird oft mit dem Ausdrucke »Einheit des Typus« bezeichnet; oder man sagt, die einzelnen Teile und Organe der verschiedenen Spezies einer Klasse seien einander homolog. Der ganze Gegenstand wird unter dem Namen Morphologie begriffen. Dies ist einer der interessantesten Teile der Naturgeschichte und kann deren wahre Seele genannt werden. Was kann es Sonderbareres geben, als dass die Greifhand des Menschen, der Grabfuß des
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