Die Entstehung der Arten Illustriert - Ueber die Entstehung der Arten durch natuerliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der beguenstigten Rassen im Kampfe ums Dasein
unbegrenzte Wiederholung desselben Teiles oder Organes, wie Owen bemerkt hat, das gemeinsame Attribut aller gering oder wenig modifizierten Formen ist; daher besaß wahrscheinlich die unbekannte Stammform aller Wirbeltiere viele Wirbel, die unbekannte Stammform aller Gliedertiere viele Körpersegmente und die unbekannte Stammform der Blütenpflanzen viele in einer oder mehreren Spiralen geordnete Blätter. Wir haben auch früher gesehen, dass Teile, die sich oft wiederholen, sehr geneigt sind, nicht bloss in Zahl, sondern auch in der Form zu variieren. Folglich werden solche Teile, da sie bereits in beträchtlicher Anzahl vorhanden und sehr variabel sind, natürlich ein zur Anpassung an die verschiedenartigsten Zwecke geeignetes Material darbieten; und doch werden sie allgemein in Folge der Kraft der Vererbung deutliche Züge ihrer ursprünglichen oder fundamentalen Ähnlichkeit bewahren. Sie werden diese Ähnlichkeit um so mehr beibehalten, als die Abänderungen, welche die Grundlage für die spätere Modifikation durch natürliche Zuchtwahl darbieten, von Anfang an ähnlich zu sein streben werden, da die Teile auf einer frühern Wachstumsstufe gleich und nahezu denselben Bedingungen ausgesetzt sind. Derartige Teile werden, mögen sie mehr oder weniger modifiziert sein, Reihenhomologa darstellen, wenn nicht ihr gemeinsamer Ursprung vollständig verdunkelt ist.
In der großen Klasse der Mollusken lassen sich zwar Homologien zwischen Teilen verschiedener Spezies, aber nur wenige Reihenhomologien nachweisen, wie z. B. die Klappe der Chitonen, d. h. wir sind selten im Stande zu sagen, dass ein Teil oder Organ mit einem andern im nämlichen Individuum homolog sei. Dies lässt sich wohl erklären, weil wir selbst bei den untersten Gliedern des Weichtierkreises auch nicht annähernd eine solche unbegrenzte Wiederholung einzelner Teile wie in den übrigen großen Klassen des Tier- und Pflanzenreiches finden.
Morphologie ist indessen ein viel komplizierterer Gegenstand, als es auf den ersten Blick scheint, wie vor Kurzem Ray Lankester in einer merkwürdigen Abhandlung gezeigt hat. Er zieht eine wichtige Scheidewand zwischen gewissen Klassen von Fällen, welche von den Naturforschern sämtlich in gleicher Weise für Homologie angesehen wurden. Er schlägt vor, die Gebilde, welche einander in Folge der Abstammung von einem gemeinsamen Urerzeuger mit später eintretender Modifikation bei verschiedenen Tieren gleichen, homogene, und die Ähnlichkeiten, welche nicht in dieser Weise erklärt werden können, homoplastische zu nennen. Er glaubt z. B., dass die Herzen der Vögel und Säugetiere im Ganzen einander homogen sind, d. h. von einem gemeinsamen Urerzeuger herzuleiten sind, dass aber die vier Herzhöhlen in den beiden Klassen homoplastisch sind, d. h. sich unabhängig entwickelt haben. Lankester führt auch die große Ähnlichkeit der Teile auf der rechten und linken Seite des Körpers und der hintereinanderliegenden Abschnitte eines und desselben individuellen Tieres an; und hier liegen gewöhnlich homolog genannte Teile vor, welche keine Beziehung zur Abstammung verschiedener Spezies von einem gemeinsamen Urerzeuger haben. Homoplastische Gebilde sind dieselben, welche ich, freilich in sehr unvollkommener Weise, als analoge Modifikationen oder Ähnlichkeiten aufgestellt habe. Ihre Bildung kann zum Teil dem Umstand zugeschrieben werden, dass verschiedene Organismen oder verschiedene Teile eines und desselben Organismus in analoger Weise variirt haben, zum Teile dem, dass ähnliche Modifikationen für denselben allgemeinen Zweck oder die gleiche Funktion erhalten worden sind, wofür sich viele Beispiele anführen ließen.
Die Naturforscher stellen den Schädel oft als eine Reihe metamorphosirter Wirbel, die Kinnladen der Krabben als metamorphosirte Beine, die Staubgefässe und Staubwege der Blumen als metamorphosirte Blätter dar; doch würde es, wie Huxley bemerkt hat, in den meisten Fällen richtiger sein zu sagen, Schädel wie Wirbel, Kinnladen und Beine u. s. w. seien nicht eines aus dem andern, wie sie jetzt existieren, sondern beide aus einem gemeinsamen Elemente entstanden. Inzwischen brauchen die meisten Naturforscher jenen Ausdruck nur in bildlicher Weise, indem sie weit von der Meinung entfernt sind, dass Primordialorgane irgend welcher Art – Wirbel im einen und Beine im andern Falle – während einer langen Reihe von Generationen wirklich in Schädel und Kinnladen umgebildet worden seien, und doch ist der
Weitere Kostenlose Bücher