Die Entstehung der Arten Illustriert - Ueber die Entstehung der Arten durch natuerliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der beguenstigten Rassen im Kampfe ums Dasein
Grade in Bezug auf ihre Lebensweisen speziell modifiziert worden sind und diese Modifikation zu entsprechenden Altersstufen vererbt haben. Nach diesen nämlichen Prinzipien und in Betracht, dass, wenn Organe in Folge von Nichtgebrauch oder von Züchtung in Größe reduziert werden, dies gewöhnlich in derjenigen Lebensperiode geschieht, wo das Wesen für seine Bedürfnisse selbst zu sorgen hat, und in fernerem Betracht, wie streng das Walten des Erblichkeitsprincips ist, hätte das Vorkommen rudimentärer Organe selbst vorausgesehen werden können. Die Wichtigkeit embryonaler Charaktere und rudimentärer Organe für die Klassification wird aus der Ausnahme verständlich, dass eine natürliche Anordnung genealogisch sein muss.
Endlich scheinen mir die verschiedenen Klassen von Tatsachen, welche in diesem Kapitel in Betracht gezogen worden sind, so deutlich auszusprechen, dass die zahllosen Arten, Gattungen und Familien organischer Wesen, womit diese Welt bevölkert ist, allesammt und jedes wieder in seiner eigenen Klasse oder Gruppe insbesondere, von gemeinsamen Eltern abstammen und im Laufe der Descendenz modifiziert worden sind, dass ich dieser Anschauungsweise ohne Zögern folgen würde, selbst wenn ihr keine sonstigen Tatsachen und Argumente mehr zu Hilfe kämen.
Fünfzehntes Kapitel – Allgemeine Wiederholung und Schluss
Wiederholung der Einwände gegen die Theorie natürlicher Zuchtwahl. — Wiederholung der allgemeinen und besonderen Umstände zu deren Gunsten. — Ursachen des allgemeinen Glaubens an die Unveränderlichkeit der Arten. — Wie weit die Theorie natürlicher Zuchtwahl auszudehnen ist. — Folgen ihrer Annahme für das Studium der Naturgeschichte. — Schlussbemerkungen.
Da dieser ganze Band eine lange Beweisführung ist, so wird es dem Leser angenehm sein, die leitenden Tatsachen und Schlussfolgerungen kurz recapitulirt zu sehen.
Ich läugne nicht, dass man viele und ernste Einwände gegen die Theorie der Descedenz mit Modifikation durch Abänderung und natürliche Zuchtwahl vorbringen kann. Ich habe versucht, sie in ihrer ganzen Stärke zu entwickeln. Nichts kann im ersten Augenblicke weniger glaubhaft erscheinen, als dass die zusammengesetztesten Organe und Instinkte ihre Vollkommmenheit erlangt haben sollen nicht durch höhere, wenn auch der menschlichen Vernunft analoge Kräfte, sondern durch die blosse Häufung zahlloser kleiner, aber jedem individuellen Besitzer vorteilhafter Abänderungen. Diese Schwierigkeit, wie unübersteiglich groß sie auch unserer Einbildungskraft erscheinen mag, kann gleichwohl nicht für wesentlich gelten, wenn wir folgende Sätze gelten lassen: dass alle Teile der Organisation und alle Instinkte wenigstens individuelle Verschiedenheiten darbieten; – dass ein Kampf um’s Dasein besteht, welcher zur Erhaltung jeder nützlichen Abweichung von den bisherigen Bildungen oder Instinkten führt, – und endlich dass Abstufungen in der Vollkommenheit eines jeden Organes bestanden haben, die alle in ihrer Weise gut waren. Die Wahrheit dieser Sätze kann nach meiner Meinung nicht bestritten werden.
Es ist ohne Zweifel äußerst schwierig, auch nur eine Vermutung darüber auszuprechen, durch welche Abstufungen, zumal in durchbrochenen und erlöschenden Gruppen organischer Wesen, die bedeutend durch Aussterben gelitten haben, manche Bildungen vervollkommnet worden sind; aber wir sehen so viele befremdende Abstufungen in der Natur, dass wir äußerst vorsichtig sein müssen zu sagen, dass irgend ein Organ oder Instinkt oder ein ganzes Gebilde nicht durch stufenweise Fortschritte zu seiner gegenwärtigen Beschaffenheit gelangt sein könne. Man muss zugeben, dass besonders schwierige Fälle der Theorie der natürlichen Zuchtwahl entgegentreten, und einer der merkwürdigsten Fälle dieser Art zeigt sich in dem Vorkommen von zwei oder drei bestimmten Kasten von Arbeitern oder unfruchtbaren Weibchen in einer und derselben Ameisengemeinde; doch habe ich zu zeigen versucht, wie auch diese Schwierigkeit zu überwinden ist.
Was die fast allgemeine Unfruchtbarkeit der Arten bei ihrer Kreuzung anbelangt, die einen so merkwürdigen Gegensatz zur fast allgemeinen Fruchtbarkeit gekreuzter Varietäten bildet, so muss ich die Leser auf die am Ende des neunten Kapitels gegebene Zusammenfassung der Tatsachen verweisen, welche mir entscheidend zu sein scheinen, um darzutun, dass diese Unfruchtbarkeit in nicht höherem Grade eine angeborne Eigentümlichkeit bildet, als die
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