Die Entstehung der Arten Illustriert - Ueber die Entstehung der Arten durch natuerliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der beguenstigten Rassen im Kampfe ums Dasein
an seiner Spitze noch fortlebt, so sehen wir zuweilen ein Tier, wie Ornithorhynchus oder Lepidosiren , welches durch seine Verwandtschaften gewissermaßen zwei große Zweige der belebten Welt, zwischen denen es in der Mitte steht, mit einander verbindet und vor einer verderblichen Konkurrenz offenbar dadurch gerettet worden ist, dass es irgend eine geschützte Station bewohnte. Wie Knospen durch Wachstum neue Knospen hervorbringen und, wie auch diese wieder, wenn sie kräftig sind, sich nach allen Seiten ausbreiten und viele schwächere Zweige überwachsen, so ist es, wie ich glaube, durch Zeugung mit dem großen Baume des Lebens ergangen, der mit seinen toten und abgebrochenen Ästen die Erdrinde erfüllt, und mit seinen herrlichen und sich noch immer weiter teilenden Verzweigungen ihre Oberfläche bekleidet.
Fünftes Kapitel – Gesetze der Abänderung
Wirkungen veränderter Bedingungen. — Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe in Verbindung mit natürlicher Zuchtwahl; — Flieg- und Sehorgane. — Acclimatisirung. — Correlative Abänderung. — Compensation und Öconomie des Wachstums. — Falsche Wechselbeziehungen. — Vielfache, rudimentäre und niedrig organisierte Bildungen sind veränderlich. — In ungewöhnlicher Weise entwickelte Teile sind sehr veränderlich; — spezifische mehr als Gattungscharaktere. — Secundäre Sexualcharaktere veränderlich. — Zu einer Gattung gehörige Arten variieren auf analoge Weise. — Rückschlag zu längst verlorenen Charakteren. — Zusammenfassung.
Ich habe bisher von den Abänderungen – die so gemein und mannigfaltig im Kulturzustande der Organismen und in etwas minderem Grade häufig in der freien Natur sind – zuweilen so gesprochen, als ob dieselben vom Zufall veranlasst wären. Dies ist natürlich eine ganz incorrecte Ausdrucksweise; sie dient aber dazu unsere gänzliche Unwissenheit über die Ursache jeder besonderen Abweichung zu beurkunden. Einige Schriftsteller sehen es ebensosehr für die Funktion des Reproduktivsystemes an, individuelle Verschiedenheiten oder ganz leichte Abweichungen des Baues hervorzubringen, wie das Kind den Eltern gleich zu machen. Aber die Tatsache des viel häufigeren Vorkommens von Abänderungen sowohl als von Monstrositäten bei den der Domestikation unterworfenen als bei den im Naturzustande lebenden Organismen und die größere Veränderlichkeit der Arten mit weiten Verbreitungsgebieten als der mit beschränkter Verbreitung leiten mich zu der Folgerung, dass Variabilität in direkter Beziehung zu den Lebensbedingungen steht, welchen jede Art mehrere Generationen lang ausgesetzt gewesen ist. Ich habe im ersten Kapitel zu zeigen versucht, dass veränderte Bedingungen auf zweierlei Weise wirken, direkt auf die ganze Organisation oder nur auf gewisse Teile, und indirekt auf das Reproduktivsystem. In allen diesen Fällen sind zwei Faktoren vorhanden, die Natur des Organismus, welches der weitaus wichtigste von beiden ist, und die Natur der Bedingungen. Die direkte Wirkung veränderter Bedingungen führt zu bestimmten oder unbestimmten Resultaten. Im letzten Falle scheint die Organisation plastisch geworden zu sein, und wir finden eine große fluctuirende Variabilität. Im ersteren Falle ist die Natur des Organismus derartig, dass sie leicht nachgibt, wenn sie gewissen Bedingungen unterworfen wird, und alle oder nahezu alle Individuen werden in derselben Weise modifiziert.
In wie weit Verschiedenheiten der äußeren Bedingungen, wie Klima, Nahrung u. s. w. in einer bestimmten Weise eingewirkt haben, ist sehr schwer zu entscheiden. Wir haben Grund zu glauben, dass im Laufe der Zeit die Wirkungen größer gewesen sind, als es durch irgend welche klare Belege als wirklich geschehen nachgewiesen werden kann. Wir können aber getrost schließen, dass die zahllosen zusammengesetzten Anpassungen des Baues, welche wir durch die ganze Natur zwischen verschiedenen organischen Wesen bestehen sehen, nicht einfach einer solcher Wirkung zugeschrieben werden können. In den folgenden Fällen scheinen die Lebensbedingungen eine geringe bestimmte Wirkung hervorgebracht zu haben. Edward Forbes behauptet, dass Conchylien an der südlichen Grenze ihres Verbreitungsbezirks und wenn sie in seichtem Wasser leben, glänzendere Farben annehmen, als dieselbe Art in ihrem nördlicheren Verbreitungsbezirk oder in größeren Tiefen darbietet. Doch ist dies gewiß nicht für alle Fälle richtig. Gould glaubt, dass Vögel derselben Art in einer
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