Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
davonlaufen. In ihrer Kammer traf sie Hindrik.
» Bist du bereit? Ich denke, du willst in der Kutsche zum Hafen fahren und dich erst an Bord in deinen Sarg begeben? Das Schiff wird bei Anbruch des Tages ablegen.«
» Können wir nicht alle zu Fuß gehen?«, bat Alisa. » Ich möchte die letzte Stunde mit Luciano und Clarissa verbringen. Außerdem denke ich, Chiara und Luciano wollen die Zeit nutzen, die ihnen noch gemeinsam bleibt.« Und ich will mich wenigstens richtig von Leo verabschieden, fügte sie im Geist hinzu. Wer weiß, wann wir uns wiedersehen? Rasch schob sie den schmerzlichen Gedanken beiseite und fragte Hindrik ein wenig vorwurfsvoll: » Wusstest du, dass Chiara mit uns nach Hamburg kommt?«
Hindrik nickte. » Ich dachte es mir schon, doch die beiden haben die Entscheidung lange vor sich hergeschoben. Erst gestern kamen sie damit zu mir.«
» Mir hat keiner was gesagt«, murrte Alisa, obwohl sie sich denken konnte, warum Sören nicht auch ihr freudestrahlend die Neuigkeit verkündet hatte. Er war nur rücksichtsvoll. Sie konnte ihm keinen Vorwurf machen.
So schlenderten die Erben, die gemeinsam das Schiff nach Hamburg nehmen würden, zusammen zum Hafen hinunter, während Hindrik und die anderen Servienten die Reisekisten an Bord schafften.
Leo, Luciano und Clarissa begleiteten sie. Alisa versuchte sich nicht zu krampfhaft an Leos Hand zu klammern, doch der Gedanke, dass sie bald schon Abschied nehmen mussten, zerriss ihr das Herz. Jede Bemühung um ein Lächeln misslang ihr kläglich, und sie schaffte es auch nicht, in das muntere Geplauder der anderen einzustimmen, die sich neckten und scherzten, um den Gedanken zu vertreiben, dass ihre gemeinsame Zeit der Akademie in dieser Nacht endete.
» Wir werden einander besuchen«, sagte Luciano aufmunternd und legte den Arm um seine Cousine.
Er knuffte Sören gegen den Oberarm. » Dass du mir gut auf sie aufpasst! Gern gebe ich sie dir nicht, aber ich muss zugeben, sie hätte schlechter wählen können.«
Chiara bleckte die Zähne. » Als ob du da etwas mit zu entscheiden hättest, werter Cousin. Du glaubst doch nicht etwa, dass ich dich bei der Wahl meiner Zukunft um Erlaubnis frage?«
» Nein, du hattest schon immer einen Dickkopf– einen verdammt hübschen Dickkopf–, den ich samt dem ganzen Rest vermissen werde.«
Chiara umarmte ihn und küsste ihn auf beide Wangen. » Ich werde dich auch vermissen, Luciano. Und ich schwöre dir, es wird kein Jahr vergehen, in dem ich nicht nach Rom komme oder dich nach Hamburg zerre!«
» Das hoffe ich!«, gab er zurück und erwiderte ihre Küsse.
» Himmel, hört denn die Küsserei hier gar nicht mehr auf?«, rief Tammo. » Das ist ja widerlich! Sind wir nun blutrünstige Vampire oder nicht?«
Die anderen lachten. Nur Alisa wurde das Herz noch schwerer. » Komm, lass uns noch ein wenig den Kai auf und ab spazieren, bis man uns an Bord ruft«, schlug sie Leo mit mühsam beherrschter Stimme vor.
Leos Augen blitzten, und sie wusste, dass er sie durchschaut hatte, doch er sagte nichts, bot ihr nur den Arm und führte sie davon. Als sie von den anderen nicht mehr zu sehen waren, blieb er stehen und legte seine Hände auf ihre Schultern.
» Willst du mir weismachen, dass auch du etwas gegen die Küsserei hast– oder liegt es nur daran, dass es die anderen sind, die sich küssen?« Er lächelte breit. » Nein, du musst nicht antworten.«
Er beugte sich vor und küsste Alisa zärtlich auf den Mund. Dann zog er sie an sich und hielt sie in seiner Umarmung. Alisa schmiegte sich an ihn und versuchte vergeblich, die Mauer in ihrem Geist aufrechtzuerhalten, um ihn nicht mit ihren Ängsten und dem Schmerz der unerbittlich näher kommenden Trennung zu überschütten.
Vielleicht war er zu taktvoll, etwas dazu zu sagen. Und vielleicht fühlte auch er sich ein ganz klein wenig traurig? Alisa fehlte die Kraft, seinen Geist danach auszuforschen. Lieber nützte sie die letzten Minuten, die ihr blieben, um sich noch einmal küssen zu lassen, was Leo auch tat. Dann nahm er sie an der Hand und führte sie zu den anderen zurück.
» Wann werden wir uns wiedersehen?«, drängte sie mit einem Anflug von Panik in der Stimme.
» Bald. Versprochen! Hegst du Zweifel daran?« Verwundert hob Leo die Brauen.
» Nein, natürlich nicht«, beeilte sich Alisa zu versichern und versuchte, ganz fest daran zu glauben.
Es wurde Zeit. Hindrik trat zu ihnen und bat sie, mit an Bord zu kommen. Im Osten zeigte sich bereits der erste rote
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