Die Erdfresserin
jeden Tag ihr Geld! Bitte, um Himmels willen, wo bist du? Wann bist du da?«
»Ich bin nicht sicher«, sage ich, und ich denke an meinen Sohn, und nichts ist mehr lustig. »Ich versuche es. Wirklich.«
»Mutter hat ihren ganzen Schmuck verpfändet«, sagt sie. »Aber das reicht alles nicht! Bitte, um Himmels willen, beeil dich!«
Ich schweige und höre den Münzen zu, wie sie ins Innere des Apparates fallen.
»Diana! Komm endlich heim!«
»Wie komme ich heim«, frage ich schließlich.« »Ich glaube, ich habe mich verlaufen.«
»Was meinst du?«, sagt sie. Ihre Stimme wird leiser und leiser.
»Bist du noch da?« Ich bin ängstlich, und ich habe plötzlich die Stimme eines Kindes. Eines fremden Kindes.
»Ja. Sicher«, sagt sie. »Diana, was ist passiert?«
»Lass mich mit Mutter sprechen«, sage ich nach langem Überlegen.
»Diana«, sagt sie, und dann schweigt sie.
»Bitte, lass mich zu Mama.«
»Sie liegt im Bett. Sie fühlt sich nicht gut. Sie kann nicht aufstehen.«
»Dann hilf du mir«, sage ich kaum hörbar. »Du musst mir helfen, sonst finde ich euch nicht mehr.«
»Aber was soll ich denn tun«, schluchzt sie. »Ich war doch noch nie im Ausland!«
Ich würge und schweige dann, weil keine Worte hinausgewürgt werden wollen. Sie wiederholt die letzten Sätze wie ein Mantra, die Anzeige blinkt.
»Du schaffst es! Du hast es doch immer geschafft! Ich warte. Ich warte!«
Die Leitung knackt, und unsere Verbindung bricht, und nach kurzem Einrasten ist erneut das Signal des fremden Landes in meinem Ohr zu hören. Ich lege den Hörer neben die Gabel auf die Metallkante des Gerätes, höre eine Weile zu und versuche, wenigstens mich zu sammeln, wenn es beim Geld schon nicht mehr gelingen will.
*
Ich schaffe es, hat sie gesagt. Ich schaffe es. Ich habe es immer geschafft. Ich habe Hunger. Ich habe bereits die Mistkübel um das hübsche Café, das am Wasser liegt, durchgewühlt und zwischen Pappbecherresten und anderem Müll ein angebissenes Karamellgebäck gefunden. Das Café ist geflutet von Frauen in schwarzen Gewändern, die nur einen Spalt zwischen Augen und Nasenansatz freigeben, sie sitzen auf der Terrasse, hinter dem Panoramafenster und gustieren an den Auslagen des Restaurants, das Ufer wirkt wie eine Pinguinkolonie, alles voller schwarzer Leiber, dicht beinander.
Alle haben Speisen vor sich, oder Getränke, und ich frage mich, wie sie diese eigentlich zu essen gedenken, schieben sie sie seitwärts am Auge vorbei? Oder unter dem Mantel von unten nach oben hinauf? Gut möglich, dass nicht das ganze belegte Brötchen den Weg in ihre verborgenen Münder schafft.
Ich schleiche mich hyänenhaft an den breiten Fensterfronten vorbei, meine mögliche Beute immer im Blick, bis mich eine Serviererin entdeckt. Als ich wieder am Ufer stehe, packt neben mir eine Dame in einem abgetragenen Kamelhaarmantel Brotscheiben aus und beginnt diese mit meditativem Lächeln an die Vögel, die sich bald ungelenk um ihre flachen Spangenschuhe scharen, zu verteilen. Ihre Knöchel sind zerbrechlich dünn. Die farblose Strumpfhose wirft glänzende Falten. Ich sehe genau hin, um ihre fütternden Hände nicht anstarren zu müssen, sehe diese dünnen Beine, so dünn wie die meiner Mutter, und ein paar schwarze Haare, die sich unter der Strumpfhose zwischen einer blauen Ader auf der Wade abzeichnen. Ich blicke sie und die Fressenden voller Abscheu an, ihr gerührtes Gesicht, ihre schlaffen gepuderten Wangen, sie würde mir wohl mit demselben Ausdruck eine Scheibe überreichen, wenn ich sie nur bitten könnte, aber ich werde nicht können, und sie wird weiter mit elegant weit ausholenden Gesten die Nahrung an die fetten Schwäne verteilen, ein ums andere Mal. Diese ekelhafte Schwerfälligkeit der Tiere, wenn sie das Wasser verlassen, jede Unvollkommenheit tritt da ungeschönt hervor, die krummen, dicken Beine, das lächerliche Wackeln mit ihren breiten Bürzeln. Ich sehe ihnen beim Hungerstillen zu und stelle mir vor, wie ich mich anschleiche und springe. Der Sprung muss gut geplant sein, so wie auch Katzen gut schätzen müssen, wenn sie nicht hungern wollen. Ich würde mich zwischen den glänzenden Federn verbeißen, die Wärme im freigelegten Mund.
*
Ein Küstenstreifen, der sich wie ein Block weißen Fettes ins Meer legt, dichte Landfasern, die sich im Laufe der Jahrhunderte übereinandergelegt haben, ein fettes, reiches Land mit fetter Erde, das nicht auf mich gewartet hat und das ich voller Erwartung ansteuere. Der
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