Die Erdfresserin
feuchtes Gesicht an meinen Hals, stand zu mir hinabgebückt da und zitterte vor Weinkrämpfen. Ich umarmte ihn und hielt ihn fest. So fest ich konnte. Sogar noch ein wenig mehr, da ich fürchtete, er würde die Umarmung sonst nicht wahrnehmen können. Meine Mutter pflanzte sich in der Tür uns gegenüber auf und fixierte mich mit ihrem bitteren Blick.
Trotz ihres Alters stand sie so gerade, wie sie es in ihrer Jugend getan hatte, hager und aufrecht, mit streng nach hinten gekämmtem langen Haar, das sie jeden Morgen in einem Knoten an ihrem Hinterkopf befestigte. Trotz aller Vorwürfe, die ich im Laufe der letzten Wochen zu hören bekam, konnte ich mich, wie immer, auf ihr Wort verlassen. Sie würde sich um alle seine Angelegenheiten kümmern, um seine Arznei, die ich wöchentlich schickte, um seine Krankenschwester, die regelmäßig vorbeikam.
»Ich bin bald wieder hier«, sagte ich noch einmal überzeugend.
Pflicht, Wahl oder Wahrheit habe ich als Kind mit meiner Schwester gespielt. Ich habe keine Wahl, nur die Pflicht. Er beruhigt sich ein wenig, er lässt mich los. Mein Kleid hat vorne einen großen klebrigen Rotzfleck. Er gähnt. Das Medikament, das ich ihm in sein Essen gemischt habe, beginnt wohl zu wirken.
Seine Bewegungen verlangsamen zusehends.
»Bald«, murmelt er und lächelt sogar ein wenig. »Baaald.«
Er ist dünn, fast zu dünn, hat aber bereits ein kleines Bäuchlein angesetzt, er ist blass, Mutter ließ ihn lange nicht mehr ins Freie. Ich beginne mich langsam rückwärts den Gang hinab zu entfernen, die Tür hinter mir, mein Kind am anderen Ende. Die breiten Holzdielen knarren unter meinen Stiefeln, seine Augenlider flattern. Der dunkel gelockte Kopf hängt ihm immer weiter auf die Brust. Er winkt mir schläfrig zu, verliert das Interesse, sinkt auf unseren Holzstuhl, der im Vorzimmer steht, und legt den Kopf auf die Rückenlehne. Meine Mutter erscheint hinter ihm, dunkel gekleidet im Dunkeln, kaum zu erkennen bis auf ihr ebenso blasses Gesicht, und legt ihm ein gestricktes Tuch aus Ziegenhaar um die Schultern. Er stützt sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie, und sie führt ihn strauchelnd in sein Zimmer.
Sie halten sich fest umschlungen und straucheln beide, sie wirken wie zwei frisch verbrüderte Saufkumpane im Morgengrauen, wie zwei schlecht eingeübte Clowns. Ich vermisse die Tröte, grün-gelb gestreift, die einen abscheulichen Ton von sich gibt, so eine habe ich ihm geschenkt, ein Souvenir von meiner ersten Reise. Das einzige Geräusch ist das Zufallen der Tür hinter mir.
Ich drehe mich um, das Gesicht Richtung Dorfstraße, und beginne zu gehen. Bevor ich die Autobushaltestelle erreiche, höre ich Schritte hinter mir. Ich weiß im Voraus, wer mir folgt. Ich verlangsame mein Tempo, ohne den Rucksack abzusetzen, und wende mich nicht um. Sie holt auf, sie geht eine Zeitlang still neben mir her. Sie trägt Schuhe, die ich aus Deutschland mitgebracht habe.
»Muss das wirklich sein?«
Ich schweige und beschleunige wieder. Sie versucht mit mir Schritt zu halten, sie ist längst nicht so sportlich wie ich, es fällt ihr schwer. Ich höre ihren Atem schneller und schneller werden, er bleibt als Nebel zwischen uns stehen. Ich lächle. Mich kostet das zügige Gehen kaum Anstrengung, ich bin eine Wandererin, während sie eine Hockerin geblieben ist.
»Muss das sein?«, wiederholt sie, nun ein wenig lauter, abgehackt, weil sie nach Luft schnappen muss.
»Schlag du mir was Besseres vor«, antworte ich gelassen.
Dieses Gespräch führen wir wieder und wieder, jedes Mal, wenn ich aufbreche, und immer, wenn ich zurückkomme, wartet sie auf ihre Entschädigungen.
»Du weißt, wie schwer er ist«, sagt sie.
Ich bleibe stehen.
Das ist neu.
»Was ist es diesmal«, sage ich, »was willst du diesmal noch mehr haben als sonst, dass du so anfängst?«
Sie weicht meinem Blick aus, Röte wandert über ihre Wangen und breitet sich bis zum Stirnansatz aus. Ich sehe in ihr glühendes Gesicht und beginne mich zu wundern.
»Du bleibst immer länger fort«, sie stottert, die Worte werden undeutlich und immer leiser.
»Jedes Mal länger …«
»War das bis jetzt ein Nachteil für dich«, sage ich. »Wer hat den Zubau bezahlt. Wer die Heizung. Die Winter waren mehr als eisig.«
Sie kämpft mit etwas, das ihr im Hals stecken bleibt, sie würgt. Ich werde geradezu neugierig, so ein Schauspiel hatten wir noch nie. Sie bleibt plötzlich stehen. Ebenso unerwartet beginnt sie zu schreien, ich habe sie seit
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