Die Erfindung des Jazz im Donbass
ihrer Granatapfelhälfte.
– Warum denkst du das?
– Du bist noch nicht mal angekommen und willst schon zurück. Du hast Angst.
– Ich muss arbeiten, – erklärte ich ihr. – Also kann ich nicht länger bleiben.
– Kannst du wohl, – sagte sie. – Wenn du willst.
– Nein, – wiederholte ich genervt, – kann ich nicht.
– Ich denke, du haust so schnell wieder ab, weil du vergessen hast, wie es dort war. Wenn du dich erst erinnerst, wirst du nicht so einfach wieder wegfahren können. Hier, bitte.
Sie reichte mir eine Tasse, in die sie etwas aus der Thermoskanne gegossen hatte. Das Gebräu roch nach Baldrian und Zimt. Ich probierte. Es schmeckte bitter und scharf. Ich trank aus, und es haute mich sofort um.
*
Um den Flugplatz erstreckten sich Weizenfelder. Näher an der Startbahn wuchsen giftig-grelle Blumen, über denen wie über Leichen träge Wespen kreisten. Morgens wärmte die Sonne den Asphalt und trocknete das Gras, das durch die Betonplatten brach. Am Rand, über der Fluglotsen-Bude, flatterten in Fetzen die Fahnen, etwas weiter, hinter dem Verwaltungsgebäude, erstreckten sich Bäume, von Spinnennetzen umwoben und vom scharfen Morgenlicht entzündet. In den Weizenfeldern hausten seltsame Winde, die jede Nacht aus der Finsternis den grünen Lichtern der Fluglotsen-Bude zustrebten und sich am Morgen wieder zwischen die Halme verzogen, um sich vor der brennenden Junisonne zu verstecken. Aufgeheizt reflektierte der Asphalt das Sonnenlicht und blendete die Vögel, die über der Startbahn kreisten. Am Zaun standen Tankwagen und ein paar Laster, leere Garagen dunkelten vor sich hin, aus denen es süßlich nach Brackwasser und Öl roch. Etwas später tauchten die Mechaniker auf, zogen ihre schwarzen, löchrigen Overalls an und krochen in ihre Maschinen. Über dem Flugplatz hing der Frühjunihimmel, entfaltete sich im Wind wie ein frisch gewaschenes Laken, erhob sich tönend und fiel herab bis auf den Asphalt. Immer zur selben Zeit, gegen acht, schälte sich aus den Tiefen der Atmosphäre das eifrige Knattern eines Motors und rollte langsam näher. Das Flugzeug war hinter der Sonne noch nicht zu sehen, aber sein Schatten zog schon über das Weizenfeld und scheuchte Vögel und Füchse auf. Die Himmelsoberfläche bekam einen Sprung wie Porzellan, und die gute alte AN - 2 , Maisfliegen-Mörder und Stolz der sowjetischen Luftfahrt, überflog die geschorenen Schädel der Mechaniker und setzte selbstbewusst zur Landung an. Sie betäubte den Morgen mit ihrem vorsintflutlichen Motor, überflog das schläfrige Städtchen und weckte es aus seinem leichten und trügerischen Sommerschlaf. Die Piloten betrachteten die landwirtschaftlichen Parzellen, die dick mit Sonnenhonig übergossenen Felder, das frische Grün der Senken und Eisenbahndämme, das Gold des Sandes am Fluss und das Tafelsilber der kalkigen Ufer. Die Stadt mit ihren Fabrikschloten und der Eisenbahn blieb zurück, das Flugzeug setzte zur Landung an, Licht durchflutete die Kabine und leuchtete kalt auf dem Metall. Die Maschine hoppelte über die Landebahn, hüpfte mit ihren harten Reifen auf dem löchrigen Asphalt. Die Piloten sprangen auf die Erde und halfen den Frachtarbeitern beim Ausladen der großen Segeltuchsäcke mit regionaler und republikanischer Presse, Briefen und Päckchen, und wenn sie alles ausgeladen hatten, gingen sie zu den Baracken und ließen das Flugzeug sich in der Sonne wärmen.
Meine Freunde und ich wohnten auf der anderen Seite der Weizenfelder, am Stadtrand, in weißen Plattenbauten, um die herum hohe Kiefern wuchsen. Gegen Abend verließen wir unser Viertel, durchstreiften den Weizen, versteckten uns vor den wenigen Autos, bewegten uns in großen Sprüngen am Zaun entlang, legten uns ins staubige Gras und beobachteten die Flugapparate. Die AN - 2 mit ihrem Metallrumpf und den leinenbespannten Flügeln erschien uns wie eine jenseitige Maschine, in der Dämonen herangeflogen kamen, um den Himmel über uns mit Benzin und Blei zu entzünden. Götterboten saßen in ihrem Innern, und der mächtige Propeller durchschlug das himmlische Eis und trieb den Pappelflaum ins Jenseits. Erst nachts kehrten wir heim, durchstreiften wieder den dichten, heißen Weizen und dachten an die Luftfahrt. Wir wollten Piloten werden. Die meisten von uns wurden Loser.
Manchmal träume ich von Piloten. Jedes Mal müssen sie in Weizenfeldern notlanden, ihre Flugzeuge fallen schwer in das dichte Korn, im roten Abendlicht zerplatzt die
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