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Die Erwaehlten

Die Erwaehlten

Titel: Die Erwaehlten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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vorzustellen.
    Dann wurden die Bücher ausgegeben. Jessica stöhnte. Die Lehrbücher, die Mr Sanchez auf seinem Pult stapelte, sahen beängstigend dick aus. Einführung in die Trigonometrie. Mehr Gewicht für die Büchertasche. Mom hatte den Beratungslehrer überredet, Jessica überall bei den Fortgeschrittenen unterzubringen und nötigenfalls zurückzustufen. Der Vorschlag war schmeichelhaft gewesen, aber nachdem sie das gigantische Physikbuch gesehen hatte, den Stapel Klassiker für Englisch und jetzt diesen Türstopper, wurde Jessica klar, dass man sie beschissen hatte. Mom hatte schon in Chicago ständig versucht, sie in fortgeschrittenen Kursen unterzubringen, und jetzt hatte Jessica den Salat. Reingefallen.
    Als die Bücher nach hinten weitergereicht wurden, betrat eine verspätete Schülerin den Raum. Sie sah jünger aus als die anderen im Kurs. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, trug eine dunkle Brille und etliche glänzende Metallketten. Mr Sanchez sah zu ihr hoch und lächelte, ehrlich erfreut.
    „Schön, dass du da bist, Desdemona.“
    „Tag, Sanchez.“ Das Mädchen hörte sich so müde an, wie Jessica sich fühlte, aber besser abgehärtet. Sie sah sich mit einer Mischung aus Langeweile und Abscheu im Klassenraum um. Mr Sanchez strahlte sie förmlich an, als ob er sie als berühmte Mathematikerin hierhergebeten hätte, damit sie einen Vortrag hielt, wie Trigonometrie unser Leben verändern kann.
    Er fuhr fort, die Bücher auszuteilen, und das Mädchen sah sich im Klassenraum nach einem Sitzplatz um. Dann passierte etwas Seltsames. Sie nahm ihre dunkle Brille ab, blinzelte Jessica an und ging zielstrebig auf das leere Pult neben ihr zu.
    „Hey“, sagte sie.
    „Hallo, ich bin Jessica.“
    „Klar“, antwortete das Mädchen, als ob das schrecklich offensichtlich wäre. Jessica fragte sich, ob sie ihr schon in einem anderen Kurs begegnet war. „Ich bin Dess.“
    „Hallo.“ Okay, das war zum zweiten Mal hallo. Aber was sollte sie sonst sagen?
    Dess sah sie eindringlich an. Anscheinend wollte sie etwas herausfinden. Sie blinzelte, als ob der Raum zu hell für sie wäre. Ihre blassen Finger spielten mit den durchsichtigen, gelblichen Perlen an einer ihrer Ketten. Sie klapperten leise, während sie sie in unverständlichen Mustern anordnete.
    Ein Buch war bei Jessicas Pult angekommen und brach den Bann, der von Dess’ Fingern ausging.
    „Wenn ihr eure Bücher habt“, verkündete Mr Sanchez, „füllt bitte das Formular aus, das an der Innenseite des Buchdeckels klebt. Und zwar sorgfältig ,Leute. Für jede Beschädigung, die ihr nicht notiert, seid ihr verantwortlich.“
    Jessica hatte diese Prozedur schon den ganzen Tag durchgemacht. Offensichtlich gehörten Lehrbücher hier in Bixby, Oklahoma zu den bedrohten Arten. Die Lehrer zwangen jeden, sie Seite für Seite durchzugehen und alle Zeichen oder Risse zu notieren. Vermutlich wurde am Ende des Jahres mit allen abgerechnet, die sich des Verbrechens schuldig gemacht hatten, ihre Bücher zu beschädigen. Jessica hatte ihrem Dad geholfen, als er das Gleiche mit ihrem Mietshaus angestellt hatte, alle Nagellöcher in den Wänden notiert, alle Steckdosen überprüft, und penibel aufgeschrieben, dass sich das Garagentor nur bis auf die letzten 30 Zentimeter öffnen ließ. Umziehen hatte sich auf vielfach unerwartete Weise als sehr nervig erwiesen.
    Sie fing an, ihr Lehrbuch durchzusehen, und prüfte gehorsam Seite für Seite. Jess seufzte. Sie hatte ein schlimmes Exemplar erwischt. Wörter unterstrichen, Seite 7. Kurve bekritzelt, Seite 19 …
    „Und wie gefällt dir Bixby bis jetzt, Jess?“
    Jessica sah auf. Dess blätterte zerstreut in ihrem Lehrbuch herum, offensichtlich fand sie nichts. Den größten Teil ihrer Aufmerksamkeit widmete sie immer noch Jess.
    Die Rede lag immer noch bereit. In Oklahoma sind anscheinend alle sehr nett, und es ist viel wärmer als Chicago. Aber irgendwie wusste sie, dass Dess keine Rede wollte.
    Jess zuckte mit den Schultern. „Das Wasser schmeckt hier komisch.“
    Dess hätte beinahe gelächelt. „Ach, wirklich?“
    „Doch. Schätze, ich werde mich dran gewöhnen.“
    „Nee. Ich bin hier geboren, und es schmeckt immer noch komisch.“
    „Super.“
    „Und es gibt noch mehr komische Sachen.“
    Jess sah auf, wartete auf mehr, aber Dess arbeitete inzwischen konzentriert. Sie hatte die Antworten am Ende des Trigonometriebuches aufgeschlagen. Ihr Stift hüpfte ohne erkennbare Ordnung von einer zur anderen, während die

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