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Die Erwaehlten

Die Erwaehlten

Titel: Die Erwaehlten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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wohnte jetzt in Bixby, Oklahoma.
    „Ach ja“, sagte sie wehmütig.
    Jessica holte tief Luft. Es roch nach Regen. Das stimmte – es hatte die ganze Nacht heftig geregnet. Aber jetzt war es plötzlich still.
    Mondlicht erfüllte das Zimmer. Jessica lag wach, versteinert, weil jetzt alles so seltsam aussah. Es lag nicht nur an dem ungewohnten Haus; die eigentliche Oklahoma-Nacht fühlte sich irgendwie falsch an. Die Fenster und Oberlichter leuchteten, aber das Licht schien von überall herzukommen, blau und kalt. Es gab keine Schatten, und das Zimmer sah flach aus, wie eine alte, verblasste Fotografie.
    Jessica fragte sich immer noch, wovon sie aufgewacht war. Ihr Herz klopfte heftig, als ob gerade eben etwas Erstaunliches passiert wäre. Sie konnte sich aber nicht erinnern, was es war.
    Sie schüttelte den Kopf und legte sich wieder hin, schloss die Augen, doch es wollte sich kein Schlaf einstellen. Ihr altes Bett kam ihr unbequem vor, irgendwie falsch, als ob es ihm hier in Bixby nicht gefallen würde.
    „Super“, murmelte Jessica. Genau das brauchte sie: eine schlaflose Nacht, zu ihrer Erschöpfung, weil sie tagelang nicht ausgepackt, mit ihrer kleinen Schwester Beth gestritten und versucht hatte, sich in dem Irrgarten an der Bixby High zurechtzufinden. Wenigstens lag ihre erste Woche in der Schule fast hinter ihr. Morgen war endlich Freitag.
    Sie sah auf die Uhr. Sie stand auf 12.07 Uhr, aber schließlich ging sie vor, nach Jessicas Zeit. Vermutlich war es ziemlich genau Mitternacht. Endlich Freitag.
    Ein blaues Leuchten erfüllte den Raum, es war fast so hell wie bei eingeschaltetem Licht. Wann war der Mond aufgegangen? Hohe, finstere Wolken waren den ganzen Tag über Bixby hinweggezogen und hatten die Sonne verdeckt. Der Himmel hier in Oklahoma sah sogar unter dem Wolkendach gewaltig aus, da das Land überall platt war wie ein Blatt Papier. Heute Nachmittag hatte ihr Dad gesagt, dass die Blitze am Horizont den ganzen weiten Weg bis nach Texas zuckten. (Wegen seiner Arbeitslosigkeit hatte er angefangen, sich mit dem Wetterkanal zu beschäftigen.)
    Das kalte, blaue Mondlicht schien von Minute zu Minute heller zu leuchten.
    Jessica schlüpfte aus dem Bett. Die rauen Fliesen unter ihren Füßen fühlten sich warm an. Vorsichtig stieg sie über das Durcheinander, im Mondlicht trat jede unausgepackte Kiste deutlich hervor. Das Fenster glühte wie eine Neonreklame. Als sie hinaussah, ballten sich ihre Finger zu Fäusten, und sie schrie leise auf.
    Draußen glitzerte die Luft, schimmerte wie der Glimmer in einer Schneekugel.
    Jessica blinzelte und rieb sich die Augen, aber die Milchstraße aus schwebenden Diamanten ging nicht weg.
    Es gab sie zu Tausenden, jeder wie an einem eigenen dünnen, unsichtbaren Faden in der Luft aufgehängt. Sie schienen zu glühen, die Straße und ihr Zimmer mit dem blauen Licht zu erfüllen. Einige schwebten nur Zentimeter vom Fenster entfernt, perfekte Kugeln, nicht größer als die kleinste Perle, durchsichtig wie Glastropfen.
    Jessica ging ein paar Schritte rückwärts und setzte sich auf ihr Bett.
    „Verrückter Traum“, sagte sie laut und wünschte sich dann, sie hätte es gelassen. Es schien nicht richtig, so was zu sagen. Wenn sie sich fragte, ob sie träumte, fühlte sie sich irgendwie wacher. Und einiges war sowieso schon zu real: keine unerklärliche Panik, nicht das Gefühl, sich selbst von oben zu beobachten, auch nicht wie in einem Stück, bei dem man mitspielt, aber den Text vergessen hatte – einfach wie Jessica Day, die auf ihren Bett sitzt und verwirrt ist.
    Und draußen ist die Luft voller Diamanten.
    Jessica schlüpfte unter ihre Decke und versuchte, weiterzuschlafen. Unbewusst zu schlafen. Hinter ihren geschlossenen Lidern fühlte sie sich aber noch wacher. Wie sich die Laken anfühlten, wie sich ihr Atem anhörte, wie die Wärme unter der Decke allmählich in ihren Körper überging, das stimmte genau. Dass alles so real war, machte sie fertig.
    Und die Diamanten waren schön. Sie wollte sie sich aus der Nähe ansehen.
    Jessica stand wieder auf.
    Sie zog ein Sweatshirt über und wühlte nach Schuhen, musste suchen, bis sie in den Umzugskartons zwei fand, die zueinander passten. Sie schlich sich aus ihrem Zimmer und über den Flur. Das immer noch ungewohnte Haus sah in dem blauen Licht unheimlich aus. Die Wände waren kahl und das Wohnzimmer leer, als ob niemand hier wohnen würde.
    Auf der Uhr in der Küche war es genau Mitternacht.
    Jessica hielt vor der Haustür

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