Die Falken und das Glück - Roman
zitierte er einen spanischen Schuhmacher.
Einmal musste er dich zur Fähre hinunter tragen, weil du so hohe Plateausohlen anhattest, dass du auf den Steinen keinen Schritt machen konntest. Er erzählte uns vom Alk, diesem längst ausgestorbenen Vogel, der so schwerfällig geworden war, dass er nicht mehr fliegen konnte.
Die Absätze sind meine Abflugrampen, hattest du entgegnet, wer den Boden unter den Füßen verliert, braucht unvernünftige Schuhe, um in der Schwebe zu bleiben.
Ich konnte verstehen, dass du bei ihm geblieben warst. Dennoch war ich erstaunt gewesen, wie schnell du alles zurückgelassen hast. Du hattest eine schwierige Zeit hinter dir gehabt, du wusstest nicht, wohin du gehörtest und was du machen solltest aus deinem Leben. Du warst unstet und flatterhaft. Vogel werden, frei werden, das Motiv zog sich durch dein Leben. In den wenigen Texten, die du mir früher zum Lesen gegeben hattest, kamen Vögel vor. Jemand hätte dir eine Feder auf den Kopf stecken sollen. Eine Vogelfeder wäre das passende Accessoire gewesen für dich, immer den Kopf in den Wolken und vogelfrei. Bis zu dem Tag, an dem dir Daniel begegnet ist. Du hattest dich selber verlieren wollen, du hattest deinen Körper nicht gemocht, und du hattest keine Zeile gemocht von den kurzen Erzählungen und Gedichten, an denen du nächtelang schriebst. Schließlich hattest du begonnen, als Übersetzerin zu arbeiten. Wenn dir schon selber nichts Brauchbares einfiel, würdest du eben die Bücher anderer Autoren ins Deutsche übertragen.
Ich werde übersetzen, bis sich meine eigene Geschichte herauskristallisiert, hattest du mir erklärt.
Dein größter Wunsch war es gewesen, ein eigenes Buch zu veröffentlichen. Du hast kein Testament zurückgelassen, dennoch bin ich mir sicher, dass du dein Manuskript herausgeben wolltest. Ich habe es für dich zu Ende geschrieben. Ich habe unsere beiden Namen darüber gesetzt. Aber ich werde es an keinen Verlag schicken. Was ich damit machen will, ich weiß es noch nicht. Es geht niemanden etwas an.
Dein überstürzter Aufbruch war mir nicht geheuer gewesen.
Man muss sein Glück selber machen, hast du immer wieder beteuert, und dass du nun wissest, wo du stündest im Leben und wohin du gehörtest, nämlich zu Daniel unter die Decke.
Was ich will, das kriege ich auch!, hast du gerufen.
Das war schon immer so gewesen. Nur hattest du in diesen Jahren keine Ahnung gehabt, was du wolltest.
Du bist verliebt, hatte ich eingewandt. Und in ein paar Monaten hast du wieder deine alten Probleme.
Sicher nicht, hattest du behauptet. Ich habe den Mann meines Lebens gefunden, und ich habe die Insel gefunden, von der ich seit jeher geträumt habe.
Du bist erst vierundzwanzig, sagte ich zu dir und kam mir furchtbar altklug vor dabei.
Meine altkluge kleine Schwester, hattest du prompt gefrotzelt.
Ich sah dir zu, wie du deine Bücher in Kisten stapeltest, ich half dir, die Kleider zu falten und obendrauf zu packen. Wir füllten die Kisten stets nur zur Hälfte mit Büchern und legten noch Hosen und Röcke und Schuhe obendrauf, damit die Kisten nicht zu schwer wurden.
Hier, hilf mir mit dem Kleid!, hattest du gerufen. Haben wir noch mehr Klebstreifen? Einen Stromadapter brauche ich und Schokolade für meine neuen Nachbarn. Willst du meinen Gummibaum haben?
Den hattest du seit deiner Jugend von einer Wohnung in die nächste geschleppt. Nun war er drei Meter hoch und ebenso breit, so dass wir den obersten Meter abschneiden mussten, damit er in meiner Wohnung Platz fand. Du verschenktest alles, was zu groß war zum Mitnehmen, das Sofa, dein Bett, sogar den Kleiderschrank wolltest du mir überlassen. Du legtest eine Entschlossenheit an den Tag, die ich nicht kannte von dir, du hattest eine unbändige Energie, du bist herumgewirbelt und hast an alles gleichzeitig gedacht. Daniel hatte sich St. Galler Kalbsbratwürste gewünscht, die hast du in mehrere Lagen Alufolie gewickelt, damit allfällige Hunde am Zoll sie nicht erschnupperten. Du hast einen Lieferwagen gemietet, den du in Galway zurückgeben konntest. Du hast dich von deinen Bekannten verabschiedet, die dir versprachen, dich besuchen zu kommen.
Martin reagierte entsetzt, als er begriff, wie entschlossen du warst. Obwohl ihr verlobt wart, versuchte er nicht, dich umzustimmen. Er blieb freundlich, fragte gar, ob er dich dann auch besuchen dürfe.
Sonst noch etwas?, hast du entgegnet und ihn stehen lassen.
Ich war froh, dass du deine Lebenskrise überwunden
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