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Das Spiel des Schicksals

Das Spiel des Schicksals

Titel: Das Spiel des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. R. Powell
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KAPITEL 1
    Es war das Atmen, das sie zuerst bemerkte: das raue, rasselnde Keuchen von jemandem, der schnell gerannt war. Was eigentlich unmöglich war, weil sich seit zehn Minuten niemand weiter als fünf Schritte hatte vorwärtsbewegen können. Zwei Rolltreppen waren ausgefallen. An einem Freitagabend um halb zehn reichte das aus, damit an der U-Bahn-Station Piccadilly Circus eine Art chaotischer Stillstand herrschte.
    »He, Kumpel, wenn du drängelst, kommst du auch nicht weiter, kapiert?«, sagte eine Frau, während sich die Menge einen weiteren Zentimeter in Richtung der Rolltreppe schob. Die Augen des Mannes huschten – irgendwie flehentlich – zu Cat, aber sie hatte ihr Londoner Gesicht aufgelegt: leer und undurchdringlich. Er war bloß ein farbloser Typ mittleren Alters in einem Anzug. Doch das musste nichts heißen. In der U-Bahn traf man auf alle möglichen Irren. »Bitte«, keuchte er, zu niemand Bestimmtem gewandt. »Bitte.« Er schloss die Augen, und sie erhaschte einen Hauch seines Schweißgeruchs. Wahrscheinlich Platzangst, dachte sie. Kein Wunder, wenn man
hier unten in der heißen, abgestandenen Luft der Piccadilly Line festsaß.
    Endlich schoben sich Cat und die Umstehenden mit langsamen Schritten auf die Rolltreppe und gewannen oben neuen Schwung, als sie diese verließen und auf die Kontrollschranke zuliefen. Mit einem Wimmern der Erleichterung schob sich der Keucher an Cat vorbei und war verschwunden. Sie hätte ihn völlig vergessen, wenn sie nicht ein paar Minuten später zufällig ein Gespräch mit angehört hätte. Zwei Männer und eine Frau, allesamt dunkel gekleidet, schlank und selbstsicher, waren aus dem Ostausgang getreten. »Er muss hier entlanggegangen sein«, sagte die Frau. »Es wird nicht lange dauern«, meinte einer ihrer Begleiter. Sie gingen in Richtung der Regent Street davon, wobei sie sich geschickt zwischen den Menschen hindurchschlängelten.
    Die sind hinter dem Typen her, dachte Cat. Aus irgendeinem Grund wusste sie, dass sie recht hatte. Vielleicht war er ein Verbrecher. Oder waren seine Verfolger Verbrecher?
    Wie auch immer, es ging sie nichts an.

    Cat ging durch die Shaftesbury Avenue und bog an der Great Windmill Street nach Soho ein. Fünf Minuten später schloss sie die Wohnungstür auf. Wie üblich war alles dunkel und leer. Aber Bel hatte ihr einen Zettel hingelegt und eine Schüssel mit angetautem gebratenem Hackfleisch auf den Küchentisch gestellt. Bel arbeitete als Croupier im Casino gegenüber, was sich glamouröser anhörte,
als es war. Vom Küchenfenster aus konnte Cat zu den Fenstern des Stockwerks schauen, in dem das Casino untergebracht war. Die Fenster waren geschwärzt, damit die Spieler das Zeitgefühl verloren. Darunter flackerte eine Neonreklame: Palais Luxe stand in ätzendem Pink darauf. Palais Schrott nannte Bel es.
    Bel war die Schwester von Cats Mutter, aber Cat hatte sie nie Tante genannt. Sie war immer nur Bel gewesen – wie die Bardame in einem Saloon in irgendeinem altmodischen Western. Sie sah auch ein bisschen so aus, mit ihrem großen, rot geschminkten Mund, den fülligen roten Haaren und dem großspurigen Gehabe. Bel war erst neunzehn gewesen, als ihre ältere Schwester und ihr Schwager bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen und ein dreijähriges Kind hinterließen, aber sie hatte keine Sekunde lang gezögert. Cat war jetzt fünfzehn, und sie hing stärker an Bel als je zuvor.
    »Denk dran, du wirst immer eine Waise sein«, sagte Bel oft, kniff leicht die Augen zusammen und schaute Cat vielsagend an. »Vergiss das nicht. Die Leute lieben es tragisch. Macht das Leben aufregender.« Als Cat noch jünger war, hatte Bel keine Hemmungen gehabt, diesen Umstand schamlos auszunutzen. Ihre Augen wurden feucht und ihr Busen hob und senkte sich, wenn sie mit melancholischer Stimme sagte: »Hat ein Jahr lang kein Wort gesprochen, das arme Ding. Selbst jetzt noch wacht sie manchmal mitten in der Nacht schreiend auf – die Ärzte sagen, sie wird nie darüber hinwegkommen …« Das war Cats Stichwort, bei dem sie schwach und zerbrechlich
aussehen musste. Das Resultat war oft nicht zu verachten, von beachtlichen Preisnachlässen bis zu doppelten Portionen im Restaurant.
    Bel war nicht ziellos, nur ungebunden. In den letzten fünf Jahren waren sie dreimal umgezogen, davor viel öfter. Sie hatten sich immer in kleinen bis mittelgroßen Ortschaften niedergelassen, wo Bel das Bestmögliche aus sich machen und Cat gleichzeitig – wie es ihr am liebsten

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