Die Familie ohne Namen
Vincent Hodge.
– Ich werde mit Euch gehen, erklärte Herr de Vaudreuil, so lange mich die Kräfte nicht verlassen…
– Bleibe hier zurück, Vaudreuil, bat Farran. Wir werden immer in Verbindung mit Dir sein…
– Nein, Freund, erwiderte Herr de Vaudreuil, ich werde da sein, wo ich sein muß!… Kommt!…
– Ja, vorwärts, Patrioten!… Die Boote sind schon vom canadischen Ufer abgestoßen!«
Alle drehten sich bei diesen mit lautschallender Stimme gesprochenen Worten um.
Der Uebergang wurde mit Gewalt erzwungen. (S. 389.)
Johann stand vor ihnen. In der verwichenen Nacht hatte ein Boot ihn wieder nach der Insel geschafft, Niemand aber ihn erkannt. Nachdem er sich auf der Seite nach Chippewa zu verborgen gehalten, hatte er die Vorbereitungen des Oberst Mac Nab beobachtet, ohne sich um die Geschosse zu bekümmern, welche den Uferabhang zerrissen. Als er dann bemerkte, daß die Angreifer sich zum gewaltsamen Uebergang anschickten, war er gekommen – offenen Gesichts gekommen, seine Stelle unter den früheren Waffengefährten einzunehmen.
»Ich wußte es doch!« rief Lionel.
Clary de Vaudreuil war an den jungen Patrioten herangetreten, gleichzeitig mit Thomas Harcher und dessen Söhnen, die sich um ihn drängten.
Herr de Vaudreuil bot Johann die Hand.
Johann nahm dieselbe nicht.
»Ihr Vertheidiger der Insel Navy, sagte er, meine Mutter ist todt, ist der Schmach erlegen, die Ihr der Armen angethan habt. Jetzt ist von der Familie, welche ein unseliges Geschick der Verachtung preisgegeben, Niemand mehr übrig als ich! Unterwerft Euch der Schande, einen Morgaz an Eurer Seite kämpfen und für die Freiheit der französischen Canadier sterben zu sehen!«
Begeisterte Beifallsrufe erschallten nach diesen Worten, alle Hände streckten sich Johann entgegen – doch auch jetzt verhinderte er es, daß sie die seinigen berührten.
»Leb’ wohl, Clary de Vaudreuil! sagte er.
– Leb’ wohl, Johann! antwortete das junge Mädchen.
– Ja, und… zum letzten Male!«
Dann stürmte er, Herrn de Vaudreuil, seinen Gefährten und allen denen voraus, die wie er den Tod suchen wollten, nach dem linken Ufer der Insel.
Dreizehntes Capitel.
Die Nacht des 20. December.
Eben schlug es die dritte Nachmittagsstunde am Glockenthurm der kleinen Kirche von Schlosser. Ein grauer eisiger Nebel verhüllte das feuchte Thal des Niagara und dazu herrschte eine scharfe Kälte. Der Himmel war mit unbeweglichen Wolken bedeckt, welche die geringste Erhöhung der Temperatur bei eintretendem östlichen Winde hätte zu Schnee verdichten müssen.
Der Donner der Kanonen von Chippewa zerriß die Luft. Zwischen dem Krachen derselben vernahm man deutlich das entfernte Rauschen der Wasserfälle.
Eine Viertelstunde, nachdem sie das Haus des Herrn de Vaudreuil verlassen, waren die Patrioten, indem sie zwischen den Baumgruppen und längs der Hecken und Einhegungen hinschlichen, am linken Ufer des Stromes angelangt.
Mehrere Kämpfer fehlten bereits; die einen hatten, von Kanonenkugeln verletzt, zurückkehren müssen, andere lagen auf dem Schnee, um sich nie wieder zu erheben. So waren etwa zwanzig von den zweihundert Streitern abzuziehen.
Die in Chippewa aufgefahrenen Geschütze hatten auf der Oberfläche der Insel schon recht schwere Verheerungen angerichtet. Die berasten Erdwälle, welche den Blaumützen die Möglichkeit bieten sollten, einigermaßen gedeckt zu feuern, waren fast vollständig zerstört, und es blieb nun nichts weiter übrig, als am Fuße des Uferabhanges zwischen den von dem Strome halb überspülten Felsen Stellung zu nehmen. Von hier aus wollte Johann mit seinen Waffengefährten versuchen, die Landung zu verhindern, bis die Munition zu Ende ging.
Die Bewegung auf der Insel war inzwischen auch von Chippewa aus gesehen worden. Der Oberst Mac Nab, der früher seine Nachrichten durch die Signale Rip’s erhielt und jetzt aus dem Berichte des Spions entnahm, der sich in seinem Lager eingefunden hatte, ließ das Feuer verdoppeln und vorzüglich auf die befestigten Punkte richten. Rings um Johann wurden wohl dreißig seiner Gefährten von Felstrümmern getroffen, welche der Anprall der Eisenkugeln weithin verstreute.
Johann bewegte sich am Ufer hin und her und beobachtete, trotz der Geschosse, die zu seinen Füßen einschlugen oder über ihm die Luft zerrissen, alle Manöver des Feindes.
Eben lösten sich die großen Flachboote, welche mit Rudern ausgestattet waren, eines nach dem anderen von dem canadischen Ufer los.
Um
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