Die falsche Braut für Ewan? (German Edition)
1. Kapitel
London, 1875
"Meine Stiefmutter? Gott, wie lästig!" Claire Brancaster Talbot blickte von ihrem Schreibtisch auf, wo sie gerade einige Briefe der Admiralität durchgesehen hatte.
Soweit sie sich erinnern konnte, hatte Lady Lydiard noch nie zuvor einen Fuß über die Schwelle von Brancasters Büroräumen am Strand, einer belebten Londoner Straße, gesetzt. "Hat sie gesagt, in welcher Angelegenheit sie mich sehen will, Catchpole?"
Das plötzliche Auftauchen von Lady Lydiard schien den bisher durch nichts zu erschütternden Mr. Catchpole, einen Mann mittleren Alters, völlig aus der Fassung gebracht zu haben. Claire hatte schon lange den Verdacht gehegt, dass ihr übereifriger Sekretär vor Personen von Stand insgeheim tiefste Hochachtung empfand.
"Ihre Ladyschaft hat diese Information nicht preisgegeben, Miss." Catchpole nahm seinen Kneifer ab und setzte ihn sogleich wieder auf. "Hätte ich mich erdreisten sollen, sie zu fragen?"
"Ich würde es kaum dreist nennen, einen Besucher nach seinem Anliegen zu fragen." Claire unterdrückte einen Seufzer und legte ihren Papierkram beiseite. "Wie auch immer, ich bezweifle, dass Ihre Ladyschaft mich lange über ihr Begehr im Unklaren lassen wird. Bitten Sie sie herein."
Claire stand auf und strich den Rock ihres karierten Seidenkleides glatt, in der Hoffnung, dass ihre Stiefmutter sich nicht über die sparsame Tournüre oder das vollkommene Fehlen eines Korsetts aufregen würde. Eigentlich benötigte Claire mit ihrer kantigen Figur keineswegs ein Korsett, um eine schlanke Taille zu erzielen. Es mochte zwar stimmen, dass ein Mieder dazu beitrug, den Anschein eines Busens zu erwecken, aber in der Geschäftswelt konnte sie darauf sehr gut verzichten.
Die Tür zu ihrem Büro öffnete sich, und Lady Lydiard segelte herein, die Taille so fest eingeschnürt, dass Claire staunte, wie die Frau noch atmen konnte, von sitzen oder essen ganz zu schweigen.
Mr. Catchpole trottete mit einem schmierigen Lächeln im Gesicht hinter Ihrer Ladyschaft her, das in Claire den Wunsch weckte, ihn zu schütteln, um ihn wieder zur Vernunft zu bringen. "Lady Lydiard für Sie, Miss Brancaster Talbot. Soll ich Ihnen beiden Tee bringen?"
"Ein Name genügt vollkommen, danke, Catchpole", erwiderte Claire.
Den Geburtsnamen ihrer Mutter anzunehmen war eine Klausel im Testament ihres Großvaters gewesen. Obwohl sie geschäftliche Korrespondenz mit beiden Namen unterzeichnete, fand sie die Kombination für den alltäglichen Gebrauch zu umständlich.
"Und machen Sie sich keine Umstände wegen des Tees", fügte sie hinzu, ohne ihre Stiefmutter zu konsultieren. "Ich bezweifle, dass dies ein gesellschaftlicher Besuch ist."
Was auch der Grund für Lady Lydiards Besuch sein mochte, Claire hatte nicht den Wunsch, ihn unnötig zu verlängern.
"Wie Sie wünschen, Miss." Catchpole verbeugte sich tief und ging rückwärts aus dem Büro.
Sein unterwürfiger Rückzug führte an Lady Lydiard vorbei, die gerade ihren Blick durch Claires spartanisches, wenngleich geräumiges Büro schweifen ließ, die Nase leicht gerümpft, als könne sie den unangenehmen Geruch von Geschäften wittern. "Also hier verbringst du deine ganze Zeit?"
"Nicht meine ganze Zeit." Claire wandte sich um und blickte aus ihren Bürofenstern auf den regen Betrieb in Londons Geschäftsviertel. "Nur gerade genug, um zu verhindern, dass deine Anteile an Wert verlieren und um das Vermögen wachsen zu lassen, das deine Enkelkinder eines Tages erben werden."
Lady Lydiard gab einen erstickten Laut von sich, bei dem Claire ihre versteckte Drohung sogleich bedauerte. Ihrer geliebten Halbschwester zuliebe hatte sie sich vorgenommen, das kühle Verhältnis zu ihrer Stiefmutter zu verbessern, zumindest bis Tessas Hochzeit vorüber war.
Als sie sich der Frau wieder zuwandte, um sich auf irgendeine Weise zu entschuldigen, sah sie, dass Lady Lydiard ein Taschentuch an ihre bebende Unterlippe presste. Claires Mut sank, während gleichzeitig Wut in ihr aufstieg. Es war einfach ungerecht, dass eine Frau, die ihr nicht das Geringste bedeutete, sie in so unangenehmem Maße reizen konnte.
"D…deswegen bin ich hergekommen!" Ihre Ladyschaft begann prompt zu weinen und weckte so einerseits Claires Bedauern, machte sie andererseits aber auch ungeduldig.
Ihr graute förmlich vor den tränenreichen Ausbrüchen, zu denen Lady Lydiard neigte.
"Warum … setzt du dich nicht?" Claire dachte krampfhaft darüber nach, was sie gesagt haben konnte, das
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