Die Farbe Der Leere
Stephen Russo legte auf, kletterte aus dem Bett und knurrte Rosemarie zuliebe gedämpft vor sich hin. Im Dunkeln tastete er nach seinen Sachen, da klickte hinter ihm die Lampe an. Als er in seine Hosen stieg, setzte sie sich auf, den Rücken ans Kopfbrett gelehnt, und sah ihm zu. Schlaf weiter, sagte er. Mach nicht extra Kaffee. Er würde sich unterwegs einen besorgen. All die Jahre, all die Anrufe. Und bis heute hasste sie es, wenn er so aufbrach. Sie würde sich Sorgen machen, bis er am Abend nach Hause kam, und dann am nächsten Morgen wieder. Aber sie würde sich nicht beklagen. Sie hatte gewusst, worauf sie sich einließ, als sie ihn heiratete.
»Leg dich wieder hin. Gönn dir noch 'ne Stunde Schlaf, bevor die Monster aufwachen.«
Ihm zu Gefallen schlüpfte sie wieder unter die Steppdecke, zog sie über die Schultern und machte die Augen zu. Lauschte auf seine Schritte, als er den Raum durchquerte und so leise wie möglich die Tür hinter sich schloss. Sie erhielt die Illusion aufrecht, dass sie wieder einschlief. Dabei wussten sie beide, dass sie auf den Beinen und in der Küche zugange sein würde, noch ehe sein Wagen die Auffahrt verließ.
Der Anruf war von Malone gekommen, die Nachricht so knapp, wie es ihre Art war: Noch ein toter Junge. Aufgeschlitzt wie der letzten Monat. Schon als ihn das Telefonklingeln weckte, hatte er den Adrenalinkick gespürt. Gott, wie er den Thrill liebte, wenn er so einen Anruf bekam. Er war süchtig danach. Er wusste, er war genauso drauf wie ein Junkie, der sich mit dem geklauten Geld seiner Freundin in einem versifften Loch Crack kauft.
Seine Hochstimmung verflüchtigte sich schnell, als er am Tatort eintraf, einen Pappbecher Kaffee in der Hand, mit gut sitzender Ermittlerattitüde, und einen Blick auf die übel zugerichtete Leiche des Jungen warf. Das also ist der Anblick, den ich kaum erwarten konnte.
»Da haben wir's wohl mit einem richtigen Jack the Ripper zu tun, was?«, sagte er statt Begrüßung zu seiner Partnerin Patricia Malone: blaue Augen, Pferdeschwanz, Kaugummi im Mund wie immer.
Sie schüttelte den Kopf und ließ zur Antwort eine Blase platzen. Das hier nahm auch sie mit. Er wusste Bescheid. Im Licht der Scheinwerfer, die die Kriminaltechniker aufgestellt hatten, sah er die fahle Blässe ihrer hellen Haut unter den Sommersprossen. Aber vor allem wusste er es, weil er Malone kannte.
Er war an den Anblick in Stücke geschossener oder an Messerstichen verbluteter Teenager gewöhnt, schließlich war das hier die Bronx. Aber die Szene vor ihm war etwas anderes. Er hätte gern gesagt, dass er so etwas noch nie gesehen hatte, nur dass er genau so etwas vor weniger als einem Monat gesehen hatte.
Die Rechtsmedizinerin Janet Fogey schlenderte rüber an die Kante des Daches, um sich eine Zigarette anzuzünden. Russo und Malone gesellten sich zu ihr.
Sie warteten, während Janet einen tiefen Zug nahm, ihn dann langsam ausatmete wie einen tiefen Seufzer. »Ihr kennt ja den Trott. Vor Abschluss der Autopsie ist nichts gesichert.«
»Klar«, sagte Russo.
»Stranguliert, vergewaltigt.«
Russo wartete auf mehr. Fogey betrachtete die Zigarette, als könnte sie sich nicht erklären, wie sie in ihre Hand gekommen war.
»Klar«, sagte Russo schließlich. »Aber was ist mit …« Er gestikulierte mit der Hand zwischen Bauch und Brust.
Sie warf die Zigarette auf das Dach und zertrat sie weitgehend ungeraucht unter ihrem Absatz. »Wie der vorige, soweit ich das sagen kann. Eher Schnitte als Stiche. Sieht aus, als war das Messer hineingestoßen und dann durch das Fleisch gerissen worden. Immer und immer wieder. Vielleicht ein paar Dutzend Mal, würde ich sagen. Mindestens.«
»Ist er so jung, wie er aussieht?«, fragte Malone.
Fogey zuckte die Achseln. »Um die fünfzehn, nicht gerade groß für sein Alter.«
Niemand sagte: »Genau wie der andere«, aber sie dachten es.
»Irgendwo da draußen läuft ein echt kranker Typ rum«, sagte Malone.
Fogey zuckte wieder die Achseln und fischte sich eine neue Zigarette aus ihrer Jackentasche. »Ich hab schon schlimme Sachen gesehen«, sagte sie. »Aber das hier gehört zum Härtesten.« Sie zückte ihr Feuerzeug und zündete die Zigarette an.
Russo trat beiseite und stellte sich an die hüfthohe Brüstungsmauer am Dachrand. Der Geruch von Zigarettenrauch erinnerte ihn immer an seinen Vater, der seit drei Jahren tot war. Er hatte gehört, manche Männer erlebten so eine Art Befreiung, wenn ihre Väter starben. Als könnten sie
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