Die Farben der Sehnsucht
Situationen anpassen – nur bei dieser außer Kontrolle geratenen Hochzeit gelang ihr das nicht. Dennoch tat sie ihr Bestes, um sich zusammenzureißen und mitzuarbeiten. Denn sie liebte Jacqueline.
Wer hätte gedacht, dass Jacqueline Donovan und Alix einander einmal so nahe sein würden? Das war unglaublich. Ich halte große Stücke auf Jacqueline und Reese, weil sie Alix geholfen haben. Und weil sie sie durch die Ausbildung hindurch und als zukünftige Braut immer unterstützt und ermutigt haben.
Als Paul, ihr Sohn, Tammie Lee geheiratet hatte, war Jacqueline nicht in die Hochzeitsvorbereitungen einbezogen worden. Und es gab eine Zeit, in der sie ihrem Sohn und seiner Frau das übel genommen hatte. Inzwischen ist, wie man so schön sagt, viel Wasser den Bach hinuntergeflossen. Durch Alix’ Hochzeit schien Jacqueline die verlorene Zeit – und die verlorenen Chancen – nachholen zu wollen. Sie plante da s gesellschaftliche Event des Jahres. Eines musste ich Alix lassen – sie war bisher erstaunlich geduldig und ge lassen geblieben.
Gegen vier Uhr klingelte das Telefon. Weil ich gerade in der Nähe der Kasse stand, griff ich automatisch nach dem Hörer. „ A Good Yarn“, meldete ich mich.
„Tante Lydia?“ Es war Hailey, meine Nichte und Margarets jüngste Tochter.
„Oh, hi …“
„Sag meinen Namen nicht“, flehte Hailey. Sie flüsterte. „Ist meine Mutter da?“
„Also … ja.“
„Beobachtet Mom dich? Sie weiß doch nicht, dass ich am Apparat bin, oder?“
Es war ein seltsames Telefonat, und ich begann, mir ernsthafte Sorgen zu machen. „Sie bedient gerade eine Kundin“, sagte ich und senkte die Stimme. Margaret hörte mir offensichtlich nicht zu, da sie nicht auf meine Worte reagierte. „Was ist denn los?“
„Ich … ich weiß nicht, was ich tun soll. Julia weint.“
„Was ist geschehen?“
„Nichts eigentlich… Ich … ich weiß es nicht“, sagte Hailey und hörte sich an, als wäre sie selbst drauf und dran, in Tränen auszubrechen. „Niemand ist hier und … und Julia redet wirres Zeug.“
„Was meinst du mit ‚wirres Zeug‘?“, fragte ich drängend.
„Ich … ich möchte es dir nicht erzählen.“
„Schon gut.“ Ich zögerte einen Moment lang. „Lass mich mit Julia sprechen.“
„Okay.“ Die Erleichterung in Haileys Stimme war nicht zu überhören. „Ich bringe ihr das Telefon.“
„Ist sie in ihrem Zimmer?“
„Nein, sie hockt auf dem Küchenfußboden“, erwiderte Hailey.
Als sie mit dem Telefon am Ohr in die Küche ging, konnte ich Julias herzzerreißendes Schluchzen bereits hören. So heftig zu weinen war nicht normal. Es jagte mir Schauer über den Rücken.
Die Kundin verließ den Laden, und Margaret blickte mich an. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich mit ihrer Tochter sprach.
„Bleib am Apparat“, sagte ich zu Hailey.
„Gut.“
Ich nahm den Hörer vom Ohr und sah zu Margaret, die ins Büro gegangen war, um ihre Tasche zu holen.
„Ich gehe rüber ins French Caf é und hole mir einen Latte Macchiato“, erklärte meine Schwester. „Kann ich dir irgendetwas mitbringen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Danke, nein.“
„Ich bin in zehn Minuten wieder da“, sagte Margaret auf ihrem Weg nach draußen. Sie hatte keine Ahnung, was gerade bei ihr zu Hause los war.
„Ja, gut.“
Das kleine Glöckchen über der Tür klingelte, als sie ging. Whiskers, mein fauler Kater, hob den Kopf und streckte dann seinen wohlgenährten Körper in der warmen Nachmittagssonne.
Als die Tür hinter Margaret ins Schloss gefallen war, nahm ich den Hörer wieder ans Ohr. „Okay“, sagte ich zu Hailey. „Gib mir deine Schwester.“
„Hier. Julia, sprich mit Tante Lydia“, hörte ich Hailey sagen.
„Julia“, sagte ich sanft und versuchte, sie zum Reden zu ermutigen. „Süße, sag mir, was los ist.“
Sie schluchzte einige Male auf. „Ich … ich weiß es nicht. Aber ich kann einfach nicht aufhören zu weinen.“
„Hast du Angst?“, fragte ich. Ich nahm an, dass irgendetwas passiert sein musste, das diesen emotionalen Zusammenbruch ausgelöst hatte.
„Ja … Ich kann nicht schlafen. Obwohl ich es wieder und wieder versuche.“
Margaret hatte mir erzählt, wie schlecht Julia seit dem Überfall schlief. Der Autodiebstahl lag mittlerweile mehr als zwei Monate zurück, und ich hatte geglaubt, es ginge Julia besser. Doch offensichtlich hatte ich damit falsch gelegen.
„Hast du mit jemandem darüber geredet?“, fragte ich.
„Nein.“
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