Gefangene des Meeres
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Aus dem Raum gesehen war die Erde eine heitere und schöne Weit. Die großen Eiskappen, die gewaltigen Flächen ihrer Ozeane und die blendendweißen Wolkenteppiche lagen geheimnisvoll verschwommen unter dem atmosphärischen Dunst, so daß der Planet von außen ein Bild der Schönheit und des Friedens bot. Es hätte eines überdimensionierten Teleskops mit unwahrscheinlichem Auflösungsvermögen bedurft, um die winzigen Funken auf der Nachtseite als das zu zeigen, was sie waren: torpedierte Schiffe und bombardierte und brennende Städte. Auch auf der vom Sonnenlicht erhellten Hemisphäre waren die vom Toben des zweiten Weltkrieges angerichteten Verwüstungen zu geringfügiger Natur, um aus interstellaren Entfernungen wahrgenommen zu werden.
Man schrieb den 3. Februar 1942 …
Vor elf Tagen von St. Johns auf Neufundland ausgelaufen, von den unaufhörlichen Angriffen der U-Boot-Rudel dezimiert und schließlich von einem selbst für den winterlichen Nordatlantik ungewöhnlich heftigen Sturm zersprengt, begann sich der Geleitzug RK 47 – oder was von ihm übrig war – in der Gegend des Rockall-Tiefs neu zu formieren, bevor er in die relative Sicherheit der Irischen See gelangte. Die meisten Schiffe liefen in Sichtweite einiger anderer, aber es gab auch einsame Nachzügler, und einer von ihnen war der umgebaute Tanker »Gulf Trader«.
Die »Gulf Trader« stellte insofern ein ungewöhnliches Schiff dar, als sie ein Rohöltanker war, der kein Öl beförderte. Ursprünglich als Flottentanker für die United States Navy erbaut, war sie 1938 an eine Handelsreederei verkauft worden und hatte im Linienverkehr zwischen den Häfen am Golf von Mexiko und der Ostküste Südamerikas Dienst getan. Jetzt war der Tanker im Begriff, in etwas umgewandelt zu werden, das vielleicht eine Antwort auf die Bedrohung durch feindliche U-Boote sein mochte. Natürlich gab es in diesem Punkt keine Sicherheit, aber jede Idee, die möglicherweise gegen die Wölfe des Meeres helfen konnte, mußte ausprobiert werden.
Hinter der »Gulf Trader« lag die Erinnerung an fünf Schiffsuntergänge. Zuerst hatte ein anderer Tanker brennendes Öl einen Kilometer weit über die See ausgespieen, bevor er gesunken war und eine Riesenfackel im Kielwasser des Konvois zurückgelassen hatte, welche die ganze Nacht gebrannt hatte. Und da war das Munitionsschiff, das so plötzlich verschwunden war, daß man Sekunden später nur noch das klecksig grüne Nachglühen des Blitzes gesehen und den verebbenden Widerhall der furchtbaren Detonation gehört hatte. Die anderen Schiffe waren weniger dramatisch gestorben, mit Explosionen, die vom heulenden Wind verschluckt wurden, und brennenden Aufbauten, die durch das Schneetreiben nur als trübes Glühen zu sehen gewesen waren. Trotz des langen Umwegs nach Norden war es dem Geleitzug nicht gelungen, die U-Boot-Rudel abzuschütteln; das hatte erst der Sturm geschafft. Sie hatten in der Tiefe Zuflucht suchen müssen, wo ihre empfindlichen Druckkörper vor den rasenden Wasserbergen geschützt waren.
Aber nun, nachdem er fünf Tage lang gewütet hatte, war der Sturm am Abflauen. Der Himmel hatte sich geklärt, und die Sonne schmolz die dicken Verkrustungen gefrorener Gischt von den Aufbauten der »Gulf Trader«. Die See ging immer noch hoch, aber die Dünung war jetzt glatt und die Wellentäler nicht mehr mit Gischt erfüllt. Doch die Wetterbesserung bedeutete auch, daß feindliche Aufklärer den zersprengten Konvoi von neuem ausmachen und die U-Boote herandirigieren würden. Zugleich würden alliierte Bomber versuchen, die feindlichen Unterseeboote zu erspähen und nach Möglichkeit zu versenken.
Im Ruderhaus der »Gulf Trader« sackte Kapitän Larmer gegen den Gurt, der ihn, abgesehen von einigen unvermeidlichen und insgesamt nicht länger als zwei Stunden währenden Unterbrechungen, seit drei Tagen an seinem Platz aufrecht gehalten hatte. Er starrte auf die Meldung, die der Funker ihm eben gebracht hatte, und obwohl die Worte in deutlich lesbarer Blockschrift geschrieben waren, dauerte es lange, bis ihre Bedeutung sein Gehirn erreichte. Die Müdigkeit hatte ihn wie mit einem dicht gesponnenen Kokon umgeben, der kaum noch etwas durchließ, aber schließlich erfaßte der Kapitän, was auf dem Zettel stand, und sagte: »Zwei U-Boote sind heute morgen in dieser Gegend gesichtet worden. Wir werden zu höchster Wachsamkeit aufgefordert.«
Kapitänleutnant Wallis neben ihm nickte steif, sagte jedoch nichts.
Manchmal, dachte
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