Die Finsternis
Wangen begannen zu glühen. Schnell senkte ich den Kopf, damit Gemma nichts merkte. Schließlich war sie diejenige gewesen, die festgestellt hatte, dass ich in bestimmten Situationen nicht wie andere Leute rot werde, sondern zu »leuchten« beginne – was natürlich übertrieben war. Meine Haut hellte sich nur ein wenig auf, das war alles.
»Überirdisch«, sagte sie und bewunderte das Wasser. »Es sieht so aus, als hätte der ganze Ozean einen Schein.«
»Das sind Bakterien.«
Sie rümpfte die Nase, als hätte ich gerade alles ruiniert.
»Es ist sehr selten, so viele auf einen Haufen zu sehen«, sagte ich und hoffte, sie würde den Anblick weiterhin genießen. »Nur wenn sich eine bestimmte Mischung aus öligem Schwimmschlamm an der Wasseroberfläche bildet, vermehren sich die Bakterien.«
»Können wir uns das fantastische Schauspiel nicht einfach nur ansehen, ohne irgendwelche Erklärungen?«
Ich nickte und begriff, dass es tatsächlich ein guter Moment wäre, ihr zu erklären, wie sehr ich sie vermisste … Doch ich war sicher, dass ich am Ende nur etwas Dummes sagen würde, deshalb wollte ich lieber meinen Mund halten.
Ich war fast dankbar, als mein Vater mich zu sich rief, damit ich bei der Bergung des Townships half.
Als wir die Nomad endlich festgezurrt hatten, machten sich meine Eltern in einem U-Boot auf den Weg nach Hause, während ich zum Kreuzer zurückkehrte. Doch ohne mich von Gemma zu verabschieden, konnte ich die Handelsstation nicht verlassen. Ich fand sie am Eingang zur Lounge, die eigentlich nur ein Umkleideraum auf dem Oberdeck war.
Einen großen Teil des Tages war Gemma mit mir im U-Boot unterwegs gewesen und hatte nicht im Geringsten beunruhigt gewirkt. Okay, U-Boote waren auch nicht das Problem. Das Problem war das Tauchen. Aber ich gab die Hoffnung nicht auf, dass sich das eines Tages wieder ändern würde.
»Möchtest du heute Abend mit mir zurück nach Hause kommen?«, fragte ich und tat so, als sei das keine große Sache.
Die Frage machte sie nervös. »Das würde ich gern. Wirklich. Aber es ist besser, wenn ich hierbleibe.«
»Wieso?«, fragte ich. »Weil du nicht mehr im Meer schwimmen willst? Das muss aber doch lange nicht heißen, dass du nicht mehr bei uns wohnen kannst.«
»Dein Haus ist im Meer. Das macht die Sache irgendwie schwierig.«
»Aber dich nachts hier zu verkriechen und auf einer Bank zu schlafen, ist einfach?« Ich bemühte mich nicht, meine Vorbehalte zu verbergen.
»Komm mit.« Sie zog mich in die Lounge. »Ich habe seit Wochen nicht mehr auf einer Bank geschlafen.« Sie holte eine Kette hervor, die um ihren Hals hing – mir war gar nicht aufgefallen, dass sie eine Kette trug. Daran baumelte ein Schlüssel, den sie nun benutzte, um eine schmale Tür an der Hinterseite der Lounge zu öffnen, die mir ebenfalls noch nie aufgefallen war.
»Erinnerst du dich an Mel, die Barkeeperin aus dem Saloon? Sie wollte mir ein Zimmer auf dem Deck besorgen, wo das Personal untergebracht ist. Aber das befindet sich im unteren Teil der Station und, na ja, ich wollte lieber hier oben bleiben. Also hat sie ein Bett für mich aufgetrieben und mir einen Schlüssel hierfür gegeben …« Sie zog die Tür auf, als würde sie mir einen Schatz offenbaren.
Ich blickte in eine Abstellkammer. Gemma war völlig begeistert von dem winzigen Raum, in den eine Liege hineingezwängt worden war, die fast den gesamten Raum einnahm. Ihre Reisetasche beanspruchte den Rest des Platzes.
Ich erinnerte mich an Mel, die Barkeeperin mit dem kahl rasierten Schädel. Sie hatte mich verteidigt, als ich mich mit der Seablite-Gang angelegt hatte. Ich war nicht überrascht zu hören, dass sie jetzt auf Gemma aufpasste.
»Ich habe dir das nicht eher gezeigt, weil ich nicht wusste, ob ich bleiben kann«, erklärte sie.
»Und jetzt weißt du es?«, brachte ich es fertig zu fragen, obwohl mein Mund ganz trocken war.
»Mel sagt, dass niemand diese Kammer benutzt und ich sie als mein Reich betrachten darf.«
Es wunderte mich nicht, dass Gemma großen Gefallen daran fand, den Ausdruck »mein Reich« zu benutzen. Sie war als Waise auf dem Festland aufgewachsen, als Schutzbefohlene des Staatenbundes in einem Internat. Sie war immer wieder umgezogen, wenn es in irgendeinem Schlafsaal ein freies Bett gegeben hatte, egal ob die anderen Mädchen in ihrem Alter waren oder nicht. Es hatte nicht einmal ein winziges Eckchen gegeben, das sie hätte ihr Eigen nennen können, geschweige denn eine ganze
Weitere Kostenlose Bücher