Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
charmant von einem Typen wie Cary Grant gerettet.
Die Fotografie der korpulenten tänzelnden Dame pinnte ich über meinen Schreibtisch. Sie lächelte so beschwingt und übertrug ihre gute Laune auf mich. Daneben kam das Bild der jüngeren Frau.
Da stand diese Adriana Van den Eynde in Mantel und Hut auf einem Weg und blickte mit Scheu und Stolz zugleich in die Kamera. Ich gab ihr den Namen Mata Hari. Sie hatte etwas von Greta Garbo in der Rolle dieser Spionin – eine elegante Zurückhaltung, hinter der ein zäher Mut, Durchhaltewillen und ein Quentchen Verzweiflung am Leben zu spüren waren.
Der Name Mata Hari passte aus noch einem anderen Grund. Die wenigen Briefe, die Renate in die Hand bekommen hatte, waren ungewöhnlich: Sie waren Absatz für Absatz in einer anderen Sprache geschrieben – Französisch neben Niederländisch und Deutsch, andere auf Schwedisch oder Englisch, einer war abgeschickt in den USA. Die Inhalte waren eher banal, da ging es um Kleider, um Schuhe, um Alltägliches. Aber warum waren sie in verschiedenen Sprachen geschrieben? Hatte die Frau nur aus Spaß an der Freude so geschrieben oder steckte dahinter ein Code, ein Geheimcode?
Die verstorbene Belgierin war im deutschen, nationalsozialistischen Niederschlesien offenbar als Bürogehilfin tätig gewesen. Sie erhielt eine Zuzugsgenehmigung und ließ sich eine Karte ausstellen, die sie zum Empfang von Lebensmittelkarten berechtigte. 1945 wiederholte sich dieses kurz vor Kriegsende in Heidelberg. Im schlesischen Neusalz an der Oder hatte sie zuvor von der Firma »Luftfahrt-Bedarf A. G. Berlin« ein Zeugnis erhalten, das ihr bestätigte, eine gewissenhafte Maschinenschreiberin gewesen zu sein. Nach Kriegsende bekam sie eine Zuzugsgenehmigung für Bottrop und die Berechtigungskarte für Lebensmittelmarken der britischen Besatzungstruppen. Zugleich wurde sie vom Arbeitseinsatz befreit.
Diese Puzzlesteine eines Lebens gaben Rätsel auf. Wer war sie gewesen, diese Adriana Van den Eynde? War sie eine Abenteurerin, diemitten im Krieg in ein fremdes Land aufbrach, um ein neues Leben zu beginnen? Oder war Adriana Opfer gewesen, eines der Millionen Opfer, die unter der Hybris und dem Rassenwahn der deutschen Nationalsozialisten zu leiden hatten?
Wenn ich mehr über sie wissen wollte, musste ich mich selbst auf die Suche machen. Ich rief in dem Altenheim an und unterhielt mich mit Schwester Sonja, die Adriana Kocyan, geborene Van den Eynde, gepflegt hatte. Sie erinnerte sich sehr gut an sie, sie sei ein angenehmer Mensch gewesen. Manchmal ist der Zufall verschwenderisch, dann offenbart er Wege, auf die zu hoffen man sich nie getraut hätte. Im Verlauf unseres Gesprächs erwähnte Schwester Sonja beiläufig: »Ich habe von ihr noch einen Koffer im Schrank.«
Adriana, Mata Hari, 1930
Elektrisiert fuhr ich wenig später nach Niederkassel. Das Seniorenheim liegt in einem Außenbezirk, mehr Dorf als Vorstadt, leere Straßen, Abstandsgrün, zum Rhein hin rauschen die Kronen alter Bäume. Draußen war Sommer, drinnen herrschte angenehme Kühle. Schwester Sonja war eine herzliche Frau, die nichts so leicht aus der Fassung brachte. Während unserer Unterhaltung beantwortete sie Fragen von Kolleginnen, die den Kopf zur Tür hereinstreckten, begrüßte Heimbewohner und kümmerte sich um ihre Belange. Sie suchte die Heimakte heraus, das offizielle Anmeldedatum von Adriana Kocyan war der 24. Oktober 1985. Sie war Witwe gewesen und hatte keine Kinder, in den Unterlagen waren keine Angehörigen vermerkt.
»Sie war ein schmales Persönchen,« erinnerte sich Schwester Sonja, »eine reizende alte Dame, die sehr zurückgezogen in ihrem Zimmer gelebt hat.« Sie habe niemandem zur Last fallen wollen und nur ein halbes Jahr Pflege in Anspruch nehmen müssen, bevor sie am 6. Januar 2003 starb. Schließlich holte die Schwester den Koffer, von dem sie gesprochen hatte. Während ich auf sie wartete,konnte ich den Flur und die Tür zu Adrianas ehemaligem Zimmer besichtigen, das Zimmer selbst nicht, die Dame, die nun darin lebte, hielt gerade Mittagsschlaf. Die Flure waren breit, die Türen grün gestrichen, rote Symbole sollten den Bewohnern bei der Orientierung helfen, an den weißen Wänden liefen gelbe Griffe zum Anhalten entlang. Auf den Fluren herrschte reges Begängnis, alte und sehr alte Männer und Frauen kamen oder gingen zu Tisch. Es roch nach Mittagessen.
Schwester Sonja stellte den Koffer vor mir auf den Tisch mit einer Geste, die zu sagen schien: »Ich habe
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