Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
1
Adriani hält ihn in der linken Hand und streicht ihn mit der anderen glatt. Ihre Hand zittert bei der Berührung.
»Ob ihr es glaubt oder nicht, er hat mir gefehlt«, flüstert sie.
In der Hand hält sie einen zerknitterten alten Tausend-Drachmen-Schein mit der Abbildung von Myrons Diskuswerfer.
»Mama, mit dem Tausender kannst du morgen nicht mal mehr einen Kaffee bezahlen«, sagt Katerina.
Mit »morgen« meint sie den 1. Januar 2014. Heute, am Silvesterabend des Jahres 2013, schneiden wir mit Katerina, Fanis und dessen Eltern Sevasti und Prodromos den Neujahrskuchen an.
»Der Wirt ist bestimmt froh, für einen Kaffee statt nur drei Euro tausend Drachmen zu bekommen«, entgegnet Adriani.
»Ja, aber tausend Drachmen sind nicht mehr als zwei Euro wert.«
»Mach ihr das Herz doch nicht so schwer«, wispert ihr Fanis zu.
»Ab morgen wird auch sie der Tatsache ins Auge sehen müssen.«
»Dann eben morgen«, erwidert Fanis entschieden.
»Katerina, wir haben das alles schon einmal erlebt. Wir sind abgehärtet«, mischt sich Sevasti ein. »Weißt du, wie viele Drachmen meine Mutter für ein Kilo Reis nach dem Bürgerkrieg bezahlen musste? Prodromos, erinnerst du dich, wie viel ein Kilo Reis nach der Abwertung unter Markesinis gekostet hat?«
»Gleich fragst du mich, wie viele Kanonen der Panzerkreuzer Averoff hatte«, antwortet Prodromos.
Damit ist das Gespräch beendet, da Adriani in die Küche geht, um den Neujahrskuchen und die Trockenfrüchte zu holen. Und Katerina eilt ihr hinterher, um ihr zur Hand zu gehen.
Ich beteilige mich lieber nicht an der Diskussion, da mir selbst noch nicht klar ist, wozu ich tendiere. Ich kann Katerinas Angst vor der Rückkehr zur guten alten Drachme verstehen. Doch auch Adrianis und Sevastis abgeklärte Haltung kann ich nachvollziehen: Mit der Drachme haben wir schlimme Zeiten durchgemacht und überstanden, argumentieren sie. Ja schon, nur jetzt steht uns der Umzug von einem Einfamilienhaus in eine Einzimmerwohnung bevor, und so ein Schritt fällt schwer.
Adriani und Katerina bringen – ganz wie die Bedienung in einem feinen Restaurant – zu zweit die Speisen herein.
Als sie die Servierplatten abstellen, klingelt es, und Sissis steht vor der Tür. Wir hatten alle gemeinsam beschlossen, ihn am Silvesterabend nicht mit der düsteren Aussicht allein zu lassen, dass sein so schon dürftiges Einkommen ab morgen noch weniger wert sein würde. Was ihn nicht daran gehindert hat, uns eine gläserne Obstschale mitzubringen.
Das veranlasst uns dazu, zum allgemeinen Austausch der Neujahrsgaben überzugehen.
»Diesmal haben sie besonderen Symbolcharakter«, bemerkt Adriani. »Es sind die letzten Geschenke, die wir in Euro bezahlt haben.«
»Deshalb habe ich etwas für dich, das du gut gebrauchen kannst«, sagt Katerina, während sie ihrer Mutter ein Päckchen überreicht.
Als Adriani das Papier aufreißt, kommt ein dickes Portemonnaie zum Vorschein.
»Das ist eins mit vielen Fächern, damit du die guten alten Drachmenscheine fein säuberlich einsortieren kannst«, sagt Katerina amüsiert.
»Soso, jetzt kommen die leeren Brieftaschen mit den vielen Fächern wieder in Mode«, kommentiert Adriani.
»Warum sagst du nichts?«, frage ich Sissis.
»Was soll ich sagen?«
»Dass man auch mit wenig auskommt. Du beherrschst doch diese Kunst.«
»Um das Gesicht zu wahren, tut man so, als ob es einem nichts ausmache. Man kommt zurecht, aber leicht fällt es einem nicht.«
Zum ersten Mal, seit wir uns kennen, deutet Lambros an, wie schwer er es hat.
Die übrigen Geschenke sind die klassischen Neujahrsgaben: Pullover, Hemden, T-Shirts und Krawatten. Doch dann kommt Katerina mit einer großen Plastiktüte und stellt sie vor mich hin.
»Das ist für dich, von Fanis und mir.«
Ich mustere die Plastiktüte und versuche zu erraten, was sich darin verbergen könnte. Dabei fällt mir auf, wie sich Fanis und Katerina heimlich zulächeln. Als ich sie öffne, kommt ein Laptop zum Vorschein. Nachdem das Geheimnis gelüftet ist, rufen alle im Chor »Alles Gute zum neuen Jahr!«. Doch ich starre nur den Computer an.
»Was soll ich denn damit?«, wundere ich mich.
»Es wird Zeit, dass du bei deinen Recherchen von Koula unabhängig wirst.«
»Und dafür habt ihr eure letzten Euros ausgegeben? Damit ich mich von Koula emanzipiere? Ich habe doch keine Ahnung von Computern. Ich kann ja nicht mal eine Schreibmaschine bedienen. Ich war immer mehr der Handwerker als der Kopfarbeiter.«
»Es ist
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