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Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)

Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)

Titel: Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Grosz
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erzählte er ihr dann von dem Mann, mit dem er sich traf. Natürlich war sie verletzt und aufgebracht, bewies aber durchaus auch Verständnis. Es folgten einige schreckliche Wochen, ehe sie sich darauf einigten, zu einer Paartherapeutin zu gehen. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte – er wollte das Leben behalten, das er sich mit Isabel aufgebaut hatte, wusste aber nicht wie. »Deswegen bin ich hier.«
    An manchen Tagen war er davon überzeugt, dass sie ihr großes Haus gegen zwei kleine Häuser eintauschen sollten, eines für ihn und eines für Isabel, damit jeder sein eigenes Leben führen konnte. An anderen Tagen aber dachte er, das Problem sei grundlegender, sei ein Problem der Intimität. »Ich hegte diese grässliche Befürchtung, dass ich mich dafür entscheiden könnte, mit einem Mann zusammenzuleben, nur um dann festzustellen, dass ich mit ihm auch keine Nähe ertrug.«
    Ich fragte ihn, was er damit meinte.
    Er sagte, Isabel käme gut mit Leuten aus, er aber nicht. Eigentlich verstünde er auch gar nicht, wie sie es all die Jahre mit ihm ausgehalten hatte – daheim galt es als Dauerwitz, dass er am besten mit Menschen unter Narkose zurechtkomme. »Ich bin ein Tölpel. Manchen Leuten gefällt das, manchen nicht. Und ich scheine immer das Unausgesprochene zu sagen, das, woran jeder denkt, das aber niemand zu sagen wagt.«
    Ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen, aber ich glaube, er hat gespürt, wie ich seine Äußerung verstand – dass er über andere Leute, nicht aber über sich selbst Unausgesprochenes sagen konnte. Sorgte er dafür, dass andere sich peinlich berührt fühlten, damit er sich eine Peinlichkeit ersparte? Noch während ich darüber nachdachte, fragte er: »Wie kann mir die Therapie helfen, diesen Konflikt zu lösen?«
    Ich sagte, ich sei mir noch nicht sicher, auf welche Weise ihm eine Therapie helfen könne.
    Er erwiderte, er würde gern zu einer Entscheidung kommen und entsprechend handeln, nur könne er sich jetzt nicht entschließen, was er tun solle. Niemand habe ihn je für verwirrt gehalten, doch genauso fühle er sich jetzt. Beides, bleiben und gehen, schiene ihm zu unterschiedlichen Zeitpunkten die richtige Verhaltensweise zu sein. Die Kinder wussten nicht, dass er schwul ist, und er wollte auch nicht, dass sie davon erfuhren. Er wollte nicht, dass sie ihn hassten, dass sie Schlimmstes über ihn dachten.
    Ich sagte, ich verstünde ihn so, dass er jetzt nicht etwas tun wolle, was er später bereue.
    Er gab mir recht. »Manchmal fühlt es sich richtig an, Isabel zu verlassen. Ich habe mich mit ihr nie völlig wie ich selbst gefühlt.« Er beschrieb einen Sonntagnachmittag, an dem er bei seinem Freund im Arm gelegen hatte. »Wir waren im Schlafzimmer und hörten eine CD. Als die Musik zu Ende ging, ließ ich nicht los, und er hat mich einfach weiter festgehalten. So lagen wir beinahe den ganzen Nachmittag da, ehe ich aufstehen wollte. Etwas Vergleichbares habe ich nie zuvor erlebt.«
    »Und auf so etwas wollen Sie nicht wieder verzichten.«
    »Eben – ich glaube nicht einmal, dass ich darauf verzichten könnte.«
    »Warum jetzt?«, fragte ich.
    Er sagte, er sei sich nicht sicher. Vielleicht hätte es mit der Lebensphase zu tun, in der Isabel und er sich jetzt befänden. Seit dem Medizinstudium hatte er sich vor allem um andere Menschen gesorgt. Erst seien Isabels Eltern, dann seine Eltern krank geworden, einer nach dem anderen, hätten ihre Hilfe gebraucht und seien gestorben: Brustkrebs, Darmkrebs, Herzversagen, Bauchspeicheldrüsenkrebs. Seine älteste Tochter hatte eine schwierige Kindheit gehabt – sie war Legasthenikerin, kam mit ihren Lehrern nicht zurecht und wurde wegen Ladendiebstahls angezeigt. Doch all das gehörte nun der Vergangenheit an – seine Eltern waren tot, den Kindern ging es gut. »Es mag egoistisch klingen, aber jetzt möchte ich spüren, dass mich jemand liebt und nicht, dass man sich nur pflichtbewusst um mich kümmert.«
    Wir schwiegen einige Minuten.
    »Es mag schrecklich klingen, aber ich war froh, als mein Vater starb, dieser entsetzliche Mensch.« Als praktischer Arzt und Stadtratsmitglied genoss er ein hohes Ansehen, doch war ein Zusammenleben mit ihm schlicht unmöglich. Er gehörte zu den professionellen Gutmenschen, und alle Welt fand ihn wundervoll, dabei neigte er zu plötzlichen Wutausbrüchen. »Er fing sich schnell wieder, aber innerlich habe ich danach noch ewig gezittert. Wir spürten es meist, wenn sich die nächste

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