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Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
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durch, dann hab ich verloren. Einmal Eisbein bestellt am Tisch mit feinen Leuten, das können Sie nie wieder gutmachen, das ist die einzige Sünde, die Ihnen nie vergeben und vergessen wird bis ans Lebensende. Sie können wegen Korruption verurteilt werden, Sie können Ihrem schärfsten Konkurrenten die Frau ausspannen, Sie können IBM in die Hacken treten, alles wird verziehen, nur das Eisbein nicht   … Alle wollen sie Feinschmecker sein, die Museumsleute erst recht, mit denen ich in letzter Zeit oft zu tun habe. Und darum genieß ich es, hier ganz einfach Jägerschnitzel mit der mittelmäßigsten aller Pilzsoßen zu essen   … Wissen Sie, eigentlich habe ich nichts gegen Feinschmecker, ich glaube nur, nein, ich bin fest davon überzeugt, wenn ich Feinschmecker gewesenwäre, dann hätte ich nicht den Computer erfunden. Dann wär ich nicht Erfinder geworden   … Wenn Sie gewohnt sind, jeden Pfennig in Ihre Maschinen zu stecken, wenn Sie jahrelang nur von den Ersparnissen Ihrer Familie und Ihrer Freunde leben und, ich übertreibe mal, ich übertreibe gern, wenn ich gute Laune habe, wenn Sie monatelang von Erbsbrei leben, den meine Mutter übrigens wunderbar zubereitet hat, in der Nazizeit konnte man sowieso nicht wählerisch sein mit dem Essen   … Und wenn Sie die ganzen fünfziger, sechziger Jahre hindurch, als es mehr zu futtern gab, Tag und Nacht an nichts anderes denken als an Ihre Rechner, die immer schneller und immer perfekter funktionieren müssen, und an das rasant wachsende Personal, für das Sie Verantwortung tragen, von fünf Mann auf zwölfhundert in zwölf Jahren, und an die viel zu dünne Kapitaldecke   … Jetzt hab ich den Faden verloren   … Ja, dann sind Sie nicht gerade der geeignetste Kandidat für diese Sorte Dekadenz   … Was machen Sie denn für ein Gesicht, sind Sie etwa von der Gewerkschaft, von der Gewerkschaft der Feinschmecker?   … Ich muss mich für meine Wortwahl nicht entschuldigen in meinem Alter, ich meine die Dekadenz der immer feineren Feinschmeckerei   … Ich könnte Ihnen auch mit den alten Römern kommen, aber ich will nicht zu sehr abschweifen   … Obwohl, ich hab mir vorgenommen, heute Abend nicht nach Konzept zu sprechen, nicht chronologisch, nicht Einleitung,Hauptteil, Schluss, so geordnet ist das Leben nicht, sondern so, wie mir die Gedanken zufallen, zufällig zufallen   … Lassen wir die alten Römer, bis hierher sind sie sowieso nicht vorgedrungen, bis in diese Wälder nicht, hundert Kilometer hinter dem Limes. Hier jedenfalls, im Gasthof «Burg Hauneck», kann ich essen, was ich will – und mir ist es völlig egal, ob Sie, wenn Sie über mich schreiben, irgendwelche abfälligen Bemerkungen über meine Essgewohnheiten machen oder nicht. Sehen Sie, das ist das Schöne, wenn man einmal achtzig geworden ist, dann kann einem das alles herzlich wurscht sein   …

(Jägerschnitzel-Test)
     
     
     
    Jetzt sollten wir aber bestellen   … Sie bleiben beim Jägerschnitzel?   … Gut so, sehr gute Wahl. Ich nehme Wildgulasch, ja, mit Salzkartoffeln und Salat, ja, und ein Bier   … Schauen Sie nicht so, es ist alles in Ordnung! Ich bin auch in Ordnung, keine Sorge. Sie denken, ich seh es Ihnen an, und wenn Sie noch so höflich über die Nasenspitze schielen, Sie denken, der Alte ist vielleicht wirr im Kopf. Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. Sehen Sie, Sie sind ja nicht der erste Journalist, mit dem ich rede   … Ja, ich weiß, Sie sind kein Journalist, Sie sind was Besseres oder wollen was Besseres sein mit Ihren Büchern. Das ist mir völlig egal, da halte ich mich raus, davon versteh ich nichts.Also, Sie sind jedenfalls nicht der erste fachfremde, wahrscheinlich mathematisch völlig ungebildete, ingenieurtechnisch völlig unbegabte Mensch, mit dem ich über meine Computer und über mein Leben rede   … Da brauch ich Ihnen gar nicht Ihre Mathematikaufgaben vom Abitur vorzulegen, das rieche ich gegen den Wind, dass Sie eine mathematische Niete sind   … Und immer, wenn ich mit Leuten wie Ihnen zusammensitze, hier auf dem Stoppelsberg oder in der Kantine des Deutschen Museums, schwärme ich von einem mittelmäßigen Jägerschnitzel oder einem kreuzbraven Kotelett. Wenn ich die Mitleidsplatte auflege vom verkannten und verleumdeten Jägerschnitzel und vom verkannten und verlachten Erfinder, dann dauert es nicht lange, bis mein Gegenüber so weit ist, das Jägerschnitzel oder das Kotelett zu bestellen, obwohl er vielleicht lieber die

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