Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
Vom Netzwerk:
Woche und nicht in jeder Minute die berühmte Pistole auf die Brust gesetzt von ahnungslosen Bankiers oder vom eigenen Finanzchef   … Kurz gesagt, dafür will ich Respekt, in einem ganz existenziellen Sinn, wenn Sie verstehen, was ich meine. Der Jägerschnitzel-Test, der hilft mir, das hoff ich doch, dass Sie mich ernst nehmen und nicht nur den schrulligen Alten in mir sehen, den Anekdoten-Opa. Ich will, dass Sie mir besser zuhören, auch wenn ich nur unbeholfen und ungeschickt daherrede. Und dass Sie mir mehr zutrauen,als ich mit meinen schlichten Worten ausdrücke. Bin nun mal kein Wortmensch, für mich war ein Wort immer eine Folge von Bits   … Lassen wir das. Aber Sie sollen heute Abend nicht vergessen, dass ich einiges mehr in meinem Speicher habe, als ich Ihnen hier auf Ihr Band spreche   …

(Ein weltberühmter Unbekannter)
     
     
     
    Ja, ich komm gern hierhin, ich kenn den Wirt und seine Familie seit Urzeiten, Rudi an der Theke, Magda in der Küche, und Kathi haben Sie ja schon kennengelernt, die Serviererin, die Schwiegertochter. Ich komm gern hierhin, wo die Gäste mich nicht erkennen, die braven Wanderer sowieso nicht, die Rentnerhorden   … Gucken Sie nicht so kritisch, ich darf das! Ich darf mir ein paar Portionen Spott leisten, wie sich andere Leute Schlagsahne leisten. Wenn ich diese jungen Leute sehe, so rüstig, so seniorenstolz, mit Geld gepolstert und trotzdem untätig, nichts als Reisen und Wandern im Kopf. Das kann mir keiner verkaufen, dass Wandern und Reisen was großartig Aktives sein soll. Passive Leute hab ich nie gemocht, und nur weil einer läppische sechzig oder siebzig wird, ist das doch kein Grund, auf diese rüstige Art faul zu werden   … Damit Sie gleich sehen, was ich für ein reaktionärer Kerl bin: Ich plädiere für den Beginn des Rentenalters mit fünfundsiebzig, in einigen Branchenmit siebzig, Maurer und Dachdecker meinetwegen mit fünfundsechzig. Haben Sie das drauf?   … Nein, lauter sag ich das nicht, ich will ja nicht gelyncht werden, jedenfalls nicht heute   … Schon dies Wort, Rentner! Ich sag manchmal Rentiere, weil sie still und brav ihr Gras in sich hineinmümmeln in Form von Torten und Rotwein und keine echten Interessen haben. Jedenfalls nicht an den Wissenschaften, an geistigen Großtaten, keine Interessen außer weiterzuleben mit dem Fitnessprogramm ihrer Hüpfgruppen und einfach nur weiterleben wie ein Rentier in Lappland. Die meisten kennen nicht mal die wichtigsten Erfindungen ihrer Zeit, Computer kennen sie nur als Monster   … Ja, kann schon sein, dass sich das ändern wird, dass die Alten auch noch mal in die Tasten greifen. Aber ich wunder mich immer wieder, mit wie viel Nichtwissen man alt werden kann, alt und einigermaßen mit Geld versorgt und noch stolz auf das Nichtwissen   … Und jetzt, wo wir wieder vereinigt sind, im fünften Jahr der Vereinigung, muss natürlich besonders fleißig gereist und gewandert werden, Mecklenburg, Brandenburg, Thüringen warten und haben noch Zimmer frei, und das Jägerschnitzel kostet zwei, drei Mark weniger. Heute muss man in Dresden gewesen sein, in Potsdam, aber von der wichtigsten Maschine unserer Zeit muss man nichts wissen, immer noch nicht   … Kurz und gut, keiner von den tüchtigen Wanderern würde auf den Höhen der Vorderrhön den Erfinder des Computersvermuten, und deswegen geht’s mir gut hier, wo ich ein bisschen palavern darf über Gott und die Welt und   … Nein, auch die Leute aus den Dörfern, Steinbach, Buchenau, Eiterfeld oder Ditlofrod, die hier mal ein Bier trinken oder sich ein Essen leisten, die kennen mich nicht, obwohl ich seit Jahrzehnten in dieser Gegend wohne und den Leuten Arbeitsplätze verschafft habe oder, um genau zu sein, ihren Eltern vor dreißig, vierzig Jahren. Man kennt mich nicht, obwohl ich weltberühmt bin. Ein weltberühmter Unbekannter, ein wunderbarer Zustand, glauben Sie mir. Sie sind hier oben der Einzige außer den Wirtsleuten   … Rudi kennt mich, seit er laufen kann, aber dem hab ich eingeschärft, er soll mich behandeln wie jeden anderen alten Herrn   … Klar, schon in den frühen Fünfzigern bin ich hier raufgestiefelt, seit wir in Neukirchen wohnten, wenn ich mal Ruhe haben wollte und nachdenken   … Was ich sagen will, genau das gefällt mir, dass hier keiner von mir Notiz nimmt, während gleichzeitig in Braunschweig Lobgesänge erschallen und in Berlin oder München die Professoren streiten, ob ich nun Deutschlands größter Erfinder

Weitere Kostenlose Bücher