Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
angewiesen. Jeder Unternehmer muß ein bestimmtes Quantum Ware absetzen, damit er bestehen kann; er will aber ein weit größeres Quantum verkaufen, davon hängt nicht nur sein größeres Einkommen ab, davon hängt auch die Wahrscheinlichkeit ab, über seine Konkurrenten zu triumphieren und für sich das Feld zu behaupten. Eine Weile ist der Absatz gesichert, sogar gesteigert; dieses verleitet zu größerer Ausdehnung der Unternehmen und zu massenweiserer Produktion. Die günstigeren Zeitverhältnisse verleiten aber nicht nur einen, sondern alle Unternehmer zu gleichen Anstrengungen. Die Produktion steigt weit über den Bedarf. Plötzlich stellt sich Überfüllung des Marktes mit Waren heraus. Der Absatz stockt, die Preise fallen, die Produktion wird eingeschränkt. Einschränkung der Produktion in einem Zweige bedingt Verminderung der Arbeiter, Erniedrigung der Arbeitslöhne, Einschränkung der Konsumtion seitens der Betroffenen. Eine Stockung der Produktion und des Absatzes in anderen Zweigen ist die notwendige Folge. Kleinhandwerker aller Art, Händler, Wirte, Bäcker, Fleischer usw., deren Kunden hauptsächlich die Arbeiter sind, verlieren den lohnenden Absatz für ihre Waren und geraten ebenfalls in Not.
Wie eine solche Krise wirkt, zeigte die Statistik der Arbeitslosen, die Ende Januar 1902 die Berliner Gewerkschaften vornahmen. Es wurden in Berlin und Vororten über 70.000 gänzlich Arbeitslose und an 60.000 teilweise Arbeitslose gezählt. Am 13. Februar 1909 haben die Berliner Gewerkschaften eine neue Arbeitslosenzählung veranstaltet, die 106.722 (92.655 Männer und 14.067 Frauen) Arbeitslose ergab . In England wurden im September 1908 750.000 Arbeitslose gezählt. Das sind Arbeiter, die arbeiten wollten; aber in dieser besten aller Welten keine Arbeit fanden. Man kann sich die traurigen sozialen Verhältnisse dieser Menschen vorstellen!
Nun liefert eine Industrie der anderen ihr Rohmaterial, eine hängt von der anderen ab, folglich muß eine unter den Schlägen der anderen leiden und büßen. Der Kreis der Beteiligten und Betroffenen erweitert sich. Eine Menge Verpflichtungen, die in der Hoffnung auf längere Dauer des bestehenden Zustandes eingegangen wurden, können nicht erfüllt werden und steigern die Krise, die von Monat zu Monat gewaltiger wird. Eine Masse aufgespeicherter Waren, Werkzeuge, Maschinen wird nahezu wertlos. Die Waren werden vielfach zu Schleuderpreisen losgeschlagen. Diese Verschleuderung ruiniert oft nicht nur die Besitzer dieser Waren, sondern auch Dutzende andere, die durch diese Verschleuderung nun ihrerseits gezwungen werden, ihre Waren ebenfalls unter dem Kostenpreise herzugeben. Aber auch während der Krise werden die Produktionsmethoden beständig verbessert, in der Absicht, der gesteigerten Konkurrenz zu begegnen; dieses Mittel birgt aber wieder die Ursache zu neuen Krisen in sich. Nachdem jahrelang die Krise dauerte, die Überproduktion und Vernichtung kleinerer Unternehmer allmählich beseitigt ist, fängt die Gesellschaft an, sich wieder langsam zu erholen. Der Bedarf steigt, damit aber auch sofort die Produktion. Anfangs langsam und vorsichtig, doch mit der Dauer des günstigeren Zustandes beginnt das alte Treiben bald von neuem. Man will wieder einholen, was man verlor, und hofft sich zu bergen, bevor eine neue Krise hereinbricht. Aber da alle Unternehmer denselben Gedanken hegen, jeder die Produktionsmittel verbessert, um dem anderen "über"zukommen, so wird die Katastrophe aufs neue in beschleunigterer Weise hervorgerufen, mit noch verhängnisvollerer Wirkung. Zahllose Existenzen werden wie Fangbälle in die Höhe geworfen und sinken, und aus dieser beständigen Wechselwirkung entsteht jener schauderhafte Zustand, den wir in jeder Krise erleben. Die Krisen häufen sich in dem Maße, wie die Massenproduktion und der Konkurrenzkampf nicht bloß zwischen den einzelnen, sondern zwischen ganzen Nationen sich steigert. Der Kampf um die Kundschaft im kleinen und die Absatzgebiete im großen wird immer heftiger und endet schließlich mit enormen Verlusten. Waren und Vorräte sind dabei in ungeheuren Mengen aufgestapelt, aber die Masse der Menschen, die konsumieren möchte, aber nicht kaufen kann, leidet Hunger und Not.
Die Jahre 1901 und 1907/08 haben die Richtigkeit der gegebenen Darstellung wieder einmal erwiesen. Nach Jahren geschäftlicher Depression, während der aber die großkapitalistische Entwicklung unausgesetzt Fortschritte machte, begann die
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