Die Friesenrose
wäre eine Dummheit.“
Inken blickte zu Boden. „Das weiß ich. Tante Tine wird mir sicherlich helfen. Du weißt doch – die Schwester meines Vaters, die mit ihrem Mann im Moor, in Großefehn, wohnt.“
„Ist das Tine Hasenfuß?“ Für einen Augenblick meinte Inken einen wehmütigen Ausdruck in Garrelts Gesicht wahrzunehmen. „Ja, ich erinnere mich. Sie ist ein lieber Mensch. Ich habe sie sehr gemocht, doch ich weiß nicht, ob du bei ihr gut aufgehoben bist. Tine hat sich schon als Kind vor jeder Krabbe gefürchtet.“
„Wohin soll ich denn sonst gehen? Tante Tine wird mir schon helfen.“ Inken sprach mit mehr Zuversicht, als sie tatsächlich hatte. „Auch wenn ich sie nie kennen gelernt habe, weil sich Vater nicht so gut mit ihrem Mann versteht.“
Gelinde gesagt, hatten sich ihr Vater und Onkel Eggo überhaupt nicht verstanden. „Wie konnte Tine nur an so einen geraten“, hörte Inken ihren Vater schimpfen. „Ein Trunkenbold und Schläger“, und sie sah dabei die Zornesader an seinem Hals pochen. Besonders erbost war er vom letzten Brief ihrer Tante gewesen. „Sie darf uns nicht besuchen kommen, weil ihr Mann es ihr verbietet! Ich werde nie begreifen, wie Tine auf so einen hereinfallen konnte. Verlässt die Insel wegen eines Sprücheklopfers und sitzt nun im Moor fest.“
Langsam hob Inken den Blick. Sie wollte Garrelt nicht beunruhigen.
„Der Holländer hat mir die Ausweise von den erschossenen Schmugglern zugesteckt.“
„Zeig her.“ Garrelt streckte die Hand aus. Als er die Papiere in Augenschein nahm, verdunkelte sich sein Gesicht. „Ich kenne alle drei. Waren gute Männer, der eine noch ganz jung. Fuhr bei seinem Vater.“ Er seufzte tief, und Inken sah, wie erneut Wut in ihm hochstieg. „Verdammt will ich sein, wenn es uns nicht gelingt, diese elenden Halunken an der Nase herumzuführen. Was hast du sonst noch retten können bei deiner Flucht?“
Inken wies auf ihren Beutel. „Meinen Ausweis, einige Kleidungsstücke und etwas Geld.“ Garrelt blickte auf die Ausweise in seiner Hand und maß Inken dann von Kopf bis Fuß. Sie konnte sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete.
„Gäbst ’nen guten Schiffsjungen ab. Wie würde es dir gefallen, Harm zu heißen?“ Er wies auf einen der Ausweise. „Harm Harmsen, 18 Jahre, Schiffsjunge – so machen wir es. Das trifft sich gar nicht schlecht. Weißt du, heute Nacht wird ein Schiff aus Ditzum hier vor Borkum stranden, und die könnten noch einen Schiffsjungen gebrauchen. Und wenn nicht, dann bring ich sie dazu!“
Inken schaute ihn mit großen Augen an. „Ein Schiff strandet hier? Und das weißt du jetzt schon?“ Sie maß ihn argwöhnisch von der Seite. „Garrelt, du drehst doch keine krummen Sachen, oder?“ Der Fischer wand sich unter ihren fragenden Blicken. „Du hältst Papiere von Schmugglern in der Hand, die nicht mehr am Leben sind!“ Ihr Ton war eindringlich.
Der Austernfischer machte eine wegwerfende Handbewegung. „Kind, wir machen das schon über Jahre hinweg so. Es passiert nix. Ist nur so ’n büschen Tee und Rum und Zucker und Tabak. Ab und an eine Arznei, was so gebraucht wird halt. Inken, wir würden sonst vor die Hunde gehen! Seit vier Jahren sind wir in Ketten gelegt. Schon unter den Holländern mussten wir fast alles abliefern, was gefischt wurde. Nur ein winziger Teil blieb für uns selbst. Und dann die Steuern, die plötzlich auf allem lagen. Und glaub ja nicht, dass es unter diesen verdammichten Franzosen besser geworden wäre! Wovon sollen wir denn leben? Ohne die Schmuggelware wäre manch ein Insulaner verhungert, und“ – er hob Inken die Unterschale entgegen – „und ohne unseren geliebten Tee hätten wir das alles doch gar nicht ausgehalten.“
Garrelt war erleichtert darüber, dass Inken nun um sein Geheimnis wusste. „Unser Lieferant ist ein Ditzumer, ein ganz besonders feiner Mensch. Er ist ein französischer Zöllner mit einem ostfriesischen Herzen. Besser gesagt, hat er sein Herz einer Ostfriesin geschenkt. Hugues Humbert heißt der Mann. Und wenn Napoleon wüsste, was dieser Hugues so alles treibt, wäre er einen Kopf kürzer. Weißt du, Inken, falls der kleine Kaiser Ostfriesland überhaupt beachtet, dann doch nur, weil er eine Möglichkeit sieht, von hier aus den Handel mit England zum Erliegen zu bringen. Unser Freund Hugues macht dagegen genau das Gegenteil. Er treibt Handel mit denEngländern. Natürlich nicht er selbst, sondern seine Blockadebrecher. Sie holen die englischen Waren von
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