Die Früchte der Unsterblichkeit
Leichnam geraubt?«
»Keine Ahnung«, sagte Raphael achselzuckend. »Ich wollte nur, dass du das weißt, bevor du dich Hals über Kopf da hineinstürzt.«
»Kümmert mich nicht. Und dich?«
»Ist mir scheißegal.« In Raphaels Augen lag ein seltsames Leuchten, was ihm einen leicht wahnsinnigen Ausdruck verlieh.
»Dann sind wir uns ja einig.«
Einvernehmlich nickten wir uns zu.
»Du hast also den Schwefelgeruch bis hierher verfolgt. Was ist dann passiert?«
»Ich bin ganz zufällig auf Fiffi gestoßen. Er hat mich gejagt, bis ich mich in einer Felsspalte versteckt habe. Ich habe etwa eine Stunde gewartet, dann ist er abgezogen und ich habe mich in die andere Richtung davongemacht. Offenbar war er nicht weit genug weg. Aber mal so nebenbei, was ist denn das eigentlich für ein Vieh?«
»Frag mich nicht.«
Meine Ausbildung hatte sich auf den aktuellen Einsatz von Magie beschränkt. Ich konnte den Lebenszyklus eines Vampirs auswendig hersagen, das Lyc-V in seinem Frühstadion diagnostizieren, anhand von Brandspuren die Art der Feuermagie bestimmen, aber bei seltsamen Wesen verließen sie mich.
»Wer könnte das wissen?«, fragte Raphael.
Wir sahen uns an und sagten gleichzeitig: »Kate.«
Kate hatte einen messerscharfen Verstand und schüttelte abseitiges mythisches Wissen nur so aus dem Ärmel. Wenn sie uns nicht weiterhelfen konnte, dann kannte sie zumindest jemanden, der es könnte.
Aus dem Handschuhfach holte ich das Handy hervor. Das einzige funktionierende Netz gehörte dem Militär und als Ritterin des Ordens und Gesetzeshüterin durfte ich es benutzen.
Ich starrte aufs Telefon.
»Hast du die Nummer vergessen?«, fragte Raphael.
»Nein. Ich überlege nur, wie ich es formulieren soll. Wenn ich das Falsche sage, kommt sie hier gleich angestürzt.« Kate war vermutlich noch nie jemandem begegnet, den sie nicht hatte beschützen wollen – vorzugsweise, indem sie mit ihrem Schwert auf Feinde eindrosch. Aber Kate war nur ein Mensch und brauchte jetzt eine Erholungspause.
Raphael schenkte mir ein umwerfendes Lächeln und mein Herz machte einen Hüpfer. »Könnte es sein, dass du lieber mit mir alleine bist?«
Ich entsicherte mein Gewehr.
Er hob die Hände, griente aber immer noch wie ein Irrer.
Nachdem ich das Gewehr wieder gesichert hatte, wählte ich Kates Nummer.
»Kate Daniels.« Die Stimme meiner besten Freundin klang mir im Ohr.
»Hi, ich bin’s. Was macht dein Bauch?«
»Tut nicht mehr weh. Was gibt’s?«
»Ich muss einen sechs Meter großen, dreiköpfigen Hund mit blutrotem Fell und brennendem Speichel identifizieren.«
Genau, reine Routine, nichts Besonderes, einem dreiköpfigen Hund begegnet man ja alle Tage …
In der Leitung wurde es still.
»Alles okay?«, fragte sie.
»Ja, ja, alles bestens«, beteuerte ich und strahlte sie durch den Hörer an, als könnte sie mich sehen. »Muss das Objekt bloß identifizieren.«
»Sieht der Schwanz aus wie eine Schlange?«
Ich rief mir den peitschenartigen Schwanz mit seiner stacheligen Spitze noch einmal ins Gedächtnis. »Irgendwie schon.«
»Bist du im Büro?«
»Nein, ich bin mit dem Jeep unterwegs.«
»Sieh mal unter dem Beifahrersitz nach. In einem schwarzen Plastikkasten sollte ein Buch sein.«
Raphael sprang aus dem Wagen und kramte unter dem Sitz ein zerlesenes Exemplar des
Almanachs Magischer Wesen
hervor.
»Ich hab’s«, sagte ich in den Hörer.
»Seite 76.«
Raphael schlug die Seite auf und hielt sie mir hin. Auf der linken Seite war ein dreiköpfiger Hund mit einem Schlangenschwanz abgebildet. Die Bildunterschrift lautete:
Cerberus
.
»Ist das dein Hund?«, fragte Kate.
»Könnte sein. Woher zum Teufel hast du die Seitenzahl gewusst?«
»Ich habe eben ein unfehlbares Gedächtnis.«
Ich schnaubte.
Seufzend sagte sie: »Also gut, ich habe Kaffee auf die Seite verschüttet und das Buch zum Trocknen aufgelassen. Nun öffnete sich das Buch immer automatisch an dieser Stelle.«
Ich sah mir die Abbildung noch einmal genauer an. »Das sieht dem Vieh ähnlich, nur dass unseres größer war.«
»Unseres? Wer ist denn bei dir?«
»Raphael.«
»Ich kann in drei Stunden in Atlanta sein. Wo genau bist du?«, blaffte Kate.
»Ich hab doch gesagt, es ist keine große Sache.«
»Blödsinn. Du würdest nie mit Raphael zusammenarbeiten, es sei denn, das Ende der Welt stünde kurz bevor und du könntest es nur mit seiner Hilfe abwenden.«
Raphael vergrub das Gesicht in den Händen und schüttelte sich. Die erstickten Geräusche,
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