Lauter Bräute
1
Um sieben Uhr, wie üblich, rasselte mein Wecker; fast im selben Moment begann im Wohnzimmer das Telefon zu läuten; und als ob das noch nicht genügte, klingelte außerdem noch jemand wie wild an der Wohnungstür. Völlig verstört wachte ich auf, mich fragend, was um Himmelswillen los sei, und warum mir so viele Klingeln gleichzeitig in die Ohren gellten. Stand das Haus in Flammen? Machten die Studenten der New Yorker Universität draußen Krawall? So früh am Morgen?
Als ich genügend zu mir gekommen war, tastete ich nach dem Wecker und stellte ihn ab. Dann schlüpfte ich in einen Morgenrock und sauste quer durch die Wohnung ans Telefon, nahm den Hörer auf, krächzte ein >Bitte war-ten< hinein, legte ihn wieder hin und schoß zur Tür, wo ein kleiner, unglücklicher Bote mit einem Telegramm stand.
Es kam von meiner Schwester Evvie in Norwegen, die mir damit zum Geburtstag gratulierte. Mein Gott, richtig, ich habe ja heute Geburtstag! dachte ich, während ich wieder zurück stürzte zum Schreibtisch, wo das Telefon stand. Klar und liebevoll hörte ich die Stimme meiner Mutter, fern in Moberly, Massachusetts: »Guten Morgen, D’Arcy! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, liebes Kind.«
»Mutter, wie süß, daß du anrufst.«
Ich war gerührt über ihr Gedenken, wenn auch nicht gerade himmelhochjauchzend beglückt. Geburtstage freuen mich nicht mehr ganz so wie früher. Unwillkürlich und voller Bedauern mußte ich daran denken, daß ich noch vor wenigen Stunden sechsundzwanzig gewesen war; und jetzt, aus tiefstem Schlaf gerissen, war ich mit einem Mal siebenundzwanzig. Wo war das Jahr geblieben? Was war aus ihm geworden?
Meine Mutter hatte sich auf einen langen Plausch eingerichtet. »Jetzt erzähl mal, D’Arcy, wie geht’s? Wie fühlst du dich?«
»Oh, bestens«, antwortete ich matt, »und wie geht es dir, Mutter?«
»Könnte nicht besser sein«, erklärte sie munter. »Weißt du, ich bin dabei, Norwegisch zu lernen. Ich habe vor, diesen Sommer auf ein oder zwei Monate zu Evvie nach Oslo zu fahren.«
Mutter hatte zweifellos entschieden, das würde das Vernünftigste sein — Norwegisch zu lernen, damit sie Evvie besuchen und sich an Ort und Stelle davon überzeugen konnte, ob ihr Haushalt auch so geführt wurde, wie es sich gehörte. Sie beherrschte bereits ungefähr zehn Sprachen fließend; noch eine zu lernen, war für sie wahrscheinlich nicht schwerer, als über die Straße zu gehen.
»Und was macht die Arbeit, Liebling?« fuhr sie fort.
»Viel zu tun?«
»Schrecklich viel. Die Juni-Bräute strömen in Scharen.«
»Aber D’Arcy, es ist doch noch nicht Juni. Wir haben Mitte April!«
»Bis Juni sind es nur noch sechs Wochen, Mutter. Und ein Brautkleid anfertigen, dauert zwischen vier und sechs Wochen.«
»Tatsächlich? Wie interessant.« Sie sagte das in einem Ton, als hätte sie nie etwas Langweiligeres gehört, »Und wann sehe ich dich mal wieder, Kind?«
»Erst wenn der Juni-Ansturm vorbei ist, fürchte ich; Anfang Juli vielleicht.«
»Aber dann bin ich schon in Oslo. Könntest du nicht dieses Wochenende kommen?«
»Ausgeschlossen, Mutter. Wir arbeiten samstags. Das ist bei uns der schlimmste Tag. Hinterher bin ich völlig erledigt.«
Nun wurde sie ärgerlich. »Wirklich, D’Arcy, du solltest mal Bestandsaufnahme machen. Du bist jetzt siebenundzwanzig. Willst du denn wirklich weiter versuchen, in New York Karriere zu machen? Würdest du nicht viel glücklicher sein, wenn du seßhaft werden und dir Mann und Kinder anschaff en würdest? Guck dir Evvie an. Und ich brauche dir wohl nicht eigens zu sagen, daß Sam Hickock nicht ewig warten wird.«
Evvie ist anderthalb Jahre jünger als ich. Sie ist mit einem riesigen, vortrefflichen Norweger namens Sven verheiratet, Dozent für Gynäkologie an der medizinischen Fakultät der Universität Oslo; bisher hat sie drei Prachtbabys in die Welt gesetzt, was Svens fachlichem Ruf höchst förderlich war. Sam Hickock war dagegen seit zwölf Jahren mein treuer Verehrer, und soweit ich weiß, habe ich noch nichts zur Förderung seines Rufes getan. Im tiefsten Grunde meines Herzens habe ich immer gewußt, daß er nicht ewig auf mich warten würde, und ich kann nicht sagen, daß mich das sonderlich bedrückte.
Es war jedoch zu früh am Morgen, um sich im einzelnen über Babys und Ehemänner auszulassen, also sagte ich: »Mutter, ich fürchte, ich muß mich beeilen. Sonst komme ich zu spät ins Geschäft.«
»Selbstverständlich. Gib auf dich acht,
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