Die fünfhundert Millionen der Begum
zur Beendigung der Studien geschickt hatte, schloß Octave einen innigen Freundschaftsbund mit einem seiner Kameraden, einem Elsäßer, Marcel Bruckmann, der zwar ein Jahr jünger war als er, physisch, geistig und moralisch aber das entschiedenste Uebergewicht über ihn behauptete.
Marcel wandte sich wieder seinem Problem zu. (S. 20.)
Der schon in seinem zwölften Jahre verwaiste Marcel Bruckmann besaß als Erbtheil eine kleine Rente, welche gerade hinreichte, seine Collegien zu bezahlen. Ohne Octave, der ihn während der Ferien zu seinen Eltern mitzunehmen pflegte, hätte er wohl niemals den Fuß außer den Mauern des Lyceums gesetzt Erklärlicher Weise wurde Doctor Sarrasin’s Familie bald auch die des jungen Elsäßers. Trotz scheinbarer Kälte, doch von tiefempfindsamer Natur, sagte ihm eine innere Stimme, daß er jenen braven Leuten, die ihm Vater-und Mutterstelle vertraten, sein ganzes Leben zu widmen habe. Es ging also ganz natürlich zu, daß er Doctor Sarrasin, dessen Gattin und deren hübsches und schon recht verständiges Töchterchen aufrichtig verehren lernte, doch gab er Allen seine Erkenntlichkeit nicht durch Worte, sondern mehr durch die That kund. Er stellte sich nämlich die angenehme Aufgabe, aus Jeanne, welche viel Wißbegierde zeigte, ein junges Mädchen mit klarem Verstande, mit festem, urtheilsfähigem Geiste heranzubilden, und Octave gleichzeitig zu einem, seines Vaters würdigen Sohn zu erziehen. Die Erreichung dieser Ziele machte ihm der junge Mann allerdings weniger leicht als das junge Mädchen, das für sein Alter dem Bruder offenbar überlegen war. Marcel hatte sich aber einmal in den Kopf gesetzt, seine Aufgabe nach beiden Seiten hin zu erfüllen.
Marcel Bruckmann gehörte zu den mannhaften und klugen Kämpen, welche Elsaß-Lothringen früher zu ihrer Erprobung in den Strudel des Pariser Lebens zu entsenden pflegte. Schon als Kind zeichnete er sich ebenso durch die Kraft und Geschmeidigkeit seiner Muskeln, wie durch seine hervorragenden geistigen Anlagen aus. Er war innerlich ebenso ganz willens-und thatkräftig, wie äußerlich ein Hüne von Gestalt. Von der Schule her beherrschte ihn stets das Bedürfniß, sich in Allem auszuzeichnen, in der Arbeit wie beim Spiele, im Turnsaale wie im chemischen Laboratorium. Entging ihm ein Preis seiner jährlichen Ernte, so hielt er das Jahr für verloren. Mit zwanzig Jahren war er ein Riese an Körper, voller Leben und Thätigkeit, eine hochangespannte organische Mas chine von größter Leistungsfähigkeit. Sein intelligenter Kopf erregte die Aufmerksamkeit feinerer Beobachter. Als Zweiter in die Centralschule eingetreten, hatte er beschlossen, sie nur als Erster zu verlassen.
Nur seiner unbeugsamen und für zwei Menschen völlig ausreichenden Energie verdankte Octave überhaupt seine Zulassung. Im Laufe eines Jahres hatte ihn Marcel »gedrillt«, an strenge Arbeit, auch an das schöne Bewußtsein des Erfolges gewöhnt. Ihn beseelte für diese schwächliche, schwankende Natur ein Gefühl freundschaftlichen Mitleids, ähnlich demjenigen, das eine Löwe etwa für einen jungen Hund haben kann. Es machte ihm Vergnügen, diese anämische Pflanze durch den Ueberschuß seines Lebenssaftes zu kräftigen und sie auch neben sich Früchte zeitigen zu lassen.
Der Krieg von 1870 überraschte die beiden Freunde, als sie eben mit Absolvirung ihres Examens beschäftigt waren. Sofort, nachdem der Unterricht unterbrochen worden, trat Marcel voll patriotischen Schmerzes über die Gefahren, welche Straßburg und Elsaß bedrohten, in das einunddreißigste Bataillon der Jäger zu Fuß ein. Octave folgte seinem Beispiele.
Schulter an Schulter standen Beide Vorposten während der schrecklichen Belagerung von Paris. Bei Champigny erhielt Marcel eine Kugel in den rechten Arm, bei Buzeval eine Epaulette auf die linke Schulter. Octave besaß weder eine Auszeichnung, noch eine Wunde. Gewiß lag dieser Mangel nicht an ihm, denn er wich auch im Feuer nie von seines Freundes Seite; kaum sechs Meter blieb er hinter jenem zurück; sechs Meter thaten eben Alles.
Nach dem Friedensschlusse und der Wiederaufnahme der gewohnten Arbeiten bewohnten die Studirenden zwei benachbarte Zimmer in einem einfachen Hause in der Nähe des Collegs. Das Unglück Frankreichs, der Verlust Elsaß’ und Lothringens hatten Marcel’s Charakter die ganze Reise des Mannes aufgeprägt.
»Es ist die Aufgabe der französischen Jugend, sagte er, die Fehler ihrer Väter wieder gut zu machen,
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