Die Furcht des Weisen / Band 1
Wetter. Der Müller hat den Daumen von der Waage gelassen, und jeder hat sich um seine eigenen Angelegenheiten gekümmert
.«
Der Wirt lächelte wehmütig. »Mein Vater hat immer gesagt, das Bier wäre besser gewesen und die Straßen nicht so ausgefahren.«
Graham lächelte kurz, senkte dann aber den Blick, als sei es ihm unangenehm, was er nun sagen würde. »Ich weiß, du bist nicht hier aus der Gegend, Kote. Und das ist schwierig. Manche Leute hier meinen, einer von außerhalb hätte prinzipiell von Tuten und Blasen keine Ahnung.«
Er atmete tief durch und sah den Wirt immer noch nicht wieder an. »Aber ich denke mal, du weißt Sachen, die andere nicht wissen. Du guckst gewissermaßen über den Tellerrand.« Nun sah er wieder hoch, mit ernstem und müdem Blick, die Augen von Schlafmangel umschattet. »Stehen die Dinge wirklich so schlimm, wie’s in letzter Zeit aussieht? Die Straßen so schlecht … Die ewigen Überfälle …«
Graham hatte sichtlich Mühe, nicht schon wieder auf die bewusste Stelle des Fußbodens hinabzusehen. »Die ganzen neuen Steuern rauben einem die letzten Reserven. Die Grayden-Jungs stehen kurz davor, ihren Hof zu verlieren. Und dann dieses Spinnenvieh.« Er trank noch einen Schluck Bier. »Stehen die Dinge wirklich so schlimm, wie’s aussieht? Oder bin ich einfach nur alt geworden, so wie mein alter Herr, und jetzt schmeckt alles ein bisschen bitterer als damals, als ich ein kleiner Junge war?«
|22| Kote wischte eine ganze Weile über den Tresen, als widerstrebte es ihm, darauf zu antworten. »Ich glaube, die Dinge stehen meistens in der einen oder anderen Hinsicht schlimm«, sagte er. »Und es könnte sein, dass nur wir älteren Leute fähig sind, das wahrzunehmen.«
Graham begann zu nicken und runzelte dann die Stirn. »Bloß dass du noch gar nicht alt bist, nicht wahr? Ich vergesse das meist.« Er musterte ihn. »Ich meine: Du bewegst dich wie ein Alter, und du redest wie ein Alter, aber du bist gar kein Alter, nicht wahr? Ich wette, du bist höchstens halb so alt wie ich.« Er sah ihn prüfend an. »Also, wie alt bist du?«
Der Wirt schenkte ihm ein müdes Lächeln. »Alt genug, um mich alt zu fühlen.«
Graham schnaubte. »Aber zu jung, um dich wie ein Alter aufzuführen. Du solltest doch eigentlich draußen rumtollen, den Weibern nachjagen und dich in Schwierigkeiten bringen. Aber darüber zu jammern, dass die Welt auch nicht mehr das ist, was sie mal war – das solltest du uns wirklich alten Leuten überlassen.«
Der alte Zimmermann stand vom Tresen auf und wandte sich zum Gehen. »Wenn wir Mittagspause machen, komm ich wieder und sprech mal mit euerm Schreiber. Und ich werd da nicht der Einzige sein. Viele Leute werden irgendwelche Sachen haben, die sie auf amtliche Weise niedergelegt haben wollen, wenn sich schon mal die Gelegenheit dazu bietet.«
Der Wirt atmete tief ein und langsam wieder aus. »Graham?«
Der wandte sich noch einmal um, die Hand schon an der Tür.
»Das siehst nicht nur du so«, sagte Kote. »Die Dinge stehen schlimm, und ich habe so das Gefühl, dass sie noch schlimmer werden. Es kann auf keinen Fall schaden, sich auf einen harten Winter einzustellen. Und darüber hinaus eventuell dafür zu sorgen, dass man sich nötigenfalls verteidigen kann.« Der Wirt zuckte die Achseln. »Das sagt mir jedenfalls mein Gefühl.«
Graham kniff den Mund zu einem Strich zusammen und nickte knapp. »Tja, dann bin ich froh, dass ich mit diesem Gefühl nicht alleine bin.«
Dann rang er sich ein Lächeln ab und begann sich die Ärmel aufzukrempeln. » |23| Dennoch«, sagte er. »Heu soll man machen, solange die Sonne scheint.«
Bald darauf kamen die Bentons mit einer Wagenladung Spätäpfel. Der Wirt kaufte ihnen die Hälfte ab und war anschließend eine Stunde lang damit beschäftigt, die Äpfel zu sortieren und einzulagern.
Die noch ganz grün und fest waren, kamen in die Fässer im Keller. Er schichtete die Äpfel vorsichtig auf, füllte die Hohlräume mit Sägemehl und nagelte zum Schluss die Fassdeckel drauf. Die reiferen Äpfel wanderten in die Speisekammer, und alle, die irgendwie angeschlagen waren oder braune Stellen hatten, waren verurteilt, zu Apfelmost verarbeitet zu werden. Sie wurden geviertelt und in einen großen, blechernen Waschbottich geworfen.
Während er sortierte und einlagerte, wirkte der rothaarige Mann zufrieden. Doch hätte man genauer hingesehen, so hätte man vielleicht bemerkt, dass sein Blick, während seine Hände beschäftigt
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