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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Bodenabschnitt vor dem Tresen. Er griff in seine Hosentasche und zog zwei stumpfe Eisen-Scherflein hervor, und seine Hand zitterte kaum dabei. »Machst du mir bitte ein kleines Bier, Kote?«, sagte er mit rauher Stimme. »Ich weiß, es ist noch früh, aber ich hab einen langen Tag vor mir. Ich helfe den Murrions bei der Weizenernte.«
    Der Wirt zapfte das Bier und stellte es Graham wortlos hin. Der trank es in einem tiefen Zug halb aus. Seine Augen waren gerötet. »Schlimme Sache gestern Abend«, sagte er, ohne Blickkontakt zu suchen, und trank noch einen Schluck.
    Kote nickte.
Schlimme Sache gestern Abend
. Das war wahrscheinlich das Einzige, was Graham über den Tod eines Mannes zu sagen hatte, den er von Kindesbeinen an gekannt hatte. Diese Leute waren vertraut mit dem Tod. Sie schlachteten ihr Vieh selbst. Sie starben an Fieber, an Stürzen oder an nicht heilenden Knochenbrüchen. Der Tod war wie ein unangenehmer Nachbar. Man sprach nicht über ihn, aus Furcht, er könnte davon erfahren und sich zu einem Besuch aufgefordert fühlen.
    Außer in Geschichten natürlich. Geschichten über vergiftete Könige oder Duelle oder lang zurückliegende Kriege waren in Ordnung. Sie kleideten den Tod in fremde Gewänder und schickten ihn weit von der eigenen Haustür fort. Ein Kaminbrand oder Krupphusten: Das war beängstigend. Gibeas Gerichtsverfahren aber oder die Belagerung von Enfast: Das war etwas anderes. Das war wie die Gebete oder wie die Beschwörungsformeln, die man vor sich hin murmelte, wenn man nachts allein durch die Dunkelheit ging. Diese Geschichten waren wie die billigen Amulette, die man, nur für alle Fälle, einem Hausierer abkaufte.
    |20| »Wie lange bleibt dieser Schreiber denn hier?«, fragte Graham nach einer Weile, und seine Stimme hallte in seinem Bierkrug wider. »Vielleicht sollte ich ein bisschen was aufschreiben lassen, nur für alle Fälle.« Er runzelte die Stirn. »Mein Vater hat immer ›Niederlegungen‹ dazu gesagt. Mir fällt grad nicht ein, wie das wirklich heißt.«
    »Wenn’s nur um dein Hab und Gut geht, bezeichnet man das als ›letztwillige Verfügung‹«, sagte der Wirt in sachlichem Ton. »Ansonsten gibt es da auch noch den sogenannten ›Erbvertrag‹.«
    Graham hob eine Augenbraue und sah den Wirt an.
    »Hab ich jedenfalls so gehört«, sagte der, senkte den Blick und wischte mit einem sauberen weißen Tuch über den Tresen. »Der Schreiber hat so was in der Richtung erwähnt.«
    »Erbvertrag …«, murmelte Graham in seinen Krug hinein. »Ich schätze mal, ich werd ihn einfach nur um ein paar Niederlegungen bitten, und er soll dann dafür sorgen, dass das alles seine amtliche Richtigkeit hat.« Er sah zu dem Wirt hinüber. »Andere Leute werden wahrscheinlich auch so was wollen – da die Zeiten nun einmal sind, wie sie sind.«
    Einen Moment lang sah es aus, als würde der Wirt gereizt die Stirn in Falten ziehen. Aber nein, er tat nichts dergleichen. Wie er dort hinter dem Tresen stand, sah er genau so aus wie immer und trug seine übliche gelassene, liebenswürdige Miene zur Schau. Er nickte. »Er hat erwähnt, dass er um die Mittagszeit hier seinem Gewerbe nachgehen wird. Die Ereignisse gestern Abend haben ihn ein bisschen mitgenommen. Wenn jemand noch vor der Mittagszeit bei ihm vorstellig werden möchte, wird er wahrscheinlich noch nicht zu sprechen sein.«
    Graham zuckte die Achseln. »Das ist egal. Bis zum Mittag wird der Ort ohnehin fast ausgestorben sein.« Er trank noch einen Schluck Bier und sah aus dem Fenster. »Heute ist ein Feldtag, so viel ist mal gewiss.«
    Der Wirt schien sich ein wenig zu entspannen. »Er ist übrigens morgen auch noch da. Die Leute müssen sich also nicht alle heute auf ihn stürzen. Man hat ihm in der Nähe von Abbot’s Ford das Pferd geklaut, und jetzt will er sich ein neues beschaffen.«
    |21| Graham blickte mitfühlend. »Der Arme. Jetzt in der Erntezeit wird er hier kein Pferd auftreiben, nicht für Geld und gute Worte. Selbst Carter hat für Nelly noch keinen Ersatz gefunden, nachdem ihn dieses Spinnenvieh hinter der alten Steinbrücke angefallen hatte.« Er schüttelte den Kopf. »Es kommt einem nicht recht vor, dass so was hier geschieht, keine zwei Meilen von der eigenen Haustür entfernt. Damals, als –«
    Graham hielt inne. »Ach du meine Güte, ich hör mich ja schon an wie mein alter Herr.« Er zog das Kinn ein wenig ein und gab seiner Stimme einen barscheren Klang. »
Als ich ein kleiner Junge war, hatten wir noch richtiges

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